Die Kunst guten Führens - Macht in Wirtschaft und Politik

Die Kunst guten Führens - Macht in Wirtschaft und Politik

 

 

 

von: Thomas de Maizière, Karl-Ludwig Kley

Verlag Herder GmbH, 2021

ISBN: 9783451822445

Sprache: Deutsch

240 Seiten, Download: 1075 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Typ: B (paralleler Zugriff)

 

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Die Kunst guten Führens - Macht in Wirtschaft und Politik



Das Kraftwerk des Wohlstands – Führen in der Wirtschaft
(von Karl-Ludwig Kley)


Führung in der Wirtschaft findet allerorten und auf allen Ebenen statt. Der Fokus dieses Beitrages liegt auf der Führungsarbeit des Vorstandes in Großunternehmen (Lufthansa und Merck), die ich 17 Jahre lang praktisch mitgestalten konnte. Seit fünf Jahren begleite ich nun die Vorstandsarbeit aus der Sicht des Aufsichtsrats (BMW, E.ON, Lufthansa). Auch Erlebnisse aus dieser Zeit sind in die folgenden Ausführungen eingeflossen. Damit möchte ich einige der Erfahrungen weitergeben, die ich gesammelt habe. Subjektiv, wie Erfahrungen halt so sind.

Auch der Inhalt dieses Beitrages ist sehr subjektiv angelegt. Die Gliederung folgt weitgehend der meines Co-Autors. Für einen Beitrag über Führung in Unternehmen ist das ein reizvoller, aber ungewöhnlicher Ansatz. Inhaltlich habe ich mich dazu entschlossen, Beschreibendes und Erfahrenes zu mischen und die Schwerpunkte sehr nach meinem eigenen Kompass zu setzen. Der Leser muss beurteilen, ob dieser Cocktail gelungen ist.

Wer kommt ganz nach vorne – und wie?


Unplanbar – Auf dem Weg zum Vorstand


Ich weiß nicht, ob es Menschen gibt, die gleich zu Beginn ihrer Berufslaufbahn das Ziel haben, eines Tages Vorstand eines Unternehmens zu werden. Wahrscheinlich würden sie es nicht zugeben. Zu viel erkennbarer Ehrgeiz wirkt am Anfang einer Karriere schlecht, ist hinderlich. Ehrgeiz muss, jedenfalls nach außen, wie überall im Leben, wohldosiert daherkommen. Interessanterweise wird aber auch im Nachhinein das Karriereziel Vorstand selten benannt. Zum Teil, weil es tatsächlich nicht da war. Zum Teil aber auch, weil Karrieren später oft der Wirkung wegen rekonstruiert, mit Leichtigkeit, Zufälligkeit und ganz viel Glück versehen werden.

Als ich 1982 zu Bayer kam, war mein Ziel, „Direktor“, wie es damals hieß, zu werden. Das entspricht heute der ersten oder zweiten Führungsebene unter dem Vorstand. Das erschien mir wünschenswert und zugleich realistisch. Später konkretisierte sich das Ziel in die Ambition, Geschäftsführer der damaligen Bayer-Tochtergesellschaft Haarmann & Reimer zu werden: wegen des Geschäftsmodells, der relativen Unabhängigkeit eines Teilkonzerns, der internationalen Ausrichtung und seiner Produkte (Geschmacks- und Geruchsstoffe fand ich faszinierend). Dazu kam es aber nie. Haarmann & Reimer existiert übrigens nicht mehr; die Firma ist in der heutigen Symrise aufgegangen.

Im Rückblick halte ich meine damalige Einstellung unverändert für richtig. Übersteigerter Ehrgeiz führt leicht zu überhöhten Karrierezielen. Wenn diese dann verfehlt werden, machen die enttäuschten Erwartungen die Verarbeitung des „Scheiterns“, das es oft objektiv gesehen gar nicht ist, schwer. Dies gilt natürlich die ganze Berufslaufbahn hindurch. Aber gerade am Beginn einer Karriere sollten gesunde Ambition und realistische Einschätzung des eigenen Könnens und der Entwicklungsmöglichkeiten stehen.

Wo man in einem Unternehmen zu arbeiten beginnt, hängt von der Ausbildung und bereits absolvierten Berufstätigkeiten ab. Naturwissenschaftliche Studien ermöglichen viele Chancen. Bei den Sozial- und Geisteswissenschaftlern sind es Betriebs-, weniger Volkswirte und Juristen, die die größten Chancen haben. Bei mir ergab sich die Möglichkeit, als Jurist in der Finanzabteilung von Bayer anzufangen. Das eröffnete mehrere alternative Berufswege. Später ging mir oft durch den Kopf, dass ein Studium der Psychologie wertvolle Kenntnisse vermittelt hätte. Ist doch Menschenführung eine der wesentlichen Anforderungen an eine Führungskraft.

Ein Studium ist zwar nicht zwingend erforderlich, um Vorstand zu werden. Es waren aber immer schon Ausnahmefälle, die es ohne Studium ganz nach oben schafften. Ich denke an meine frühen Mentoren, die ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Bayer Hermann Josef Strenger und Werner Wenning. Bei ständig steigenden Studentenzahlen sinkt die Wahrscheinlichkeit einer solchen Karriere allerdings weiter.

Stellenausschreibungen und -bewerbungen laufen zunächst weitgehend online ab. Das hat die Zahl der von Unternehmen zu bearbeitenden Bewerbungen vervielfacht; sie werden daher in einem ersten Schritt schematisch abgearbeitet. Jede Bewerbung muss daher mittels Zusatzqualifikationen so ausgestaltet sein, dass sie diese erste Hürde überspringen hilft. Ein zunehmender Fokus wird dabei heute (im Gegensatz zu früher) auf Zusatzqualifikationen wie Praktika, Auslandsaufenthalte usw. gelegt. Vor allem Auslandspraktika können sehr sinnvoll sein. Erst dann rückt die Persönlichkeit des Kandidaten stärker in den Mittelpunkt des Auswahlprozesses.

Ob die Karriere gleich im ersten Unternehmen nach oben führt oder der spätere Einstieg nach einer Zeit als Unternehmensberater oder in anderen Unternehmen gewählt wird, ist letztlich unerheblich. Alle Möglichkeiten haben statistisch vermutlich die gleiche Erfolgswahrscheinlichkeit. Bei mir war es zweimal der Wechsel des Arbeitgebers, der den Sprung in den Vorstand ermöglicht hat.

Im Job kommt es dann zuallererst darauf an, fachliche Kompetenz und Teamgeist zu demonstrieren und damit auf sich aufmerksam zu machen. Fachliche und menschliche Kompetenzen allein reichen aber nur in den seltensten Fällen aus. Man ist immer auf andere angewiesen, die die Fähigkeiten des Einzelnen erkennen und sich dann, nicht immer aus altruistischen Gründen, zum Förderer aufschwingen. Zur Not muss man auch Selbstpropaganda betreiben, allerdings im richtigen Maß. Unanständiges Verhalten wird dabei nicht immer, aber zumeist erkannt. Unvergessen der Moment, als ich beim damaligen Vorstandsvorsitzenden der Lufthansa, Wolfgang Mayrhuber, saß. Eine Führungskraft Y beschwerte sich gerade telefonisch bei ihm über den Kollegen X. Mayrhuber rief dann X an und erzählte ihm, was Y über ihn gesagt hatte. Anschließend informierte er Y über Xs Reaktion. Die sofortige Konfrontation half, sich anbahnende Konflikte im Keim zu ersticken, bevor sie sich in der Organisation störend etablierten. Und Y verstand den eleganten Rüffel und veränderte sein Verhalten in der Folgezeit.

Zum Nachweis der fachlichen Kompetenzen und menschlichen Qualitäten gesellt sich bald die Notwendigkeit, Führungsfähigkeit und -bereitschaft zu demonstrieren. Bis zu einem gewissen Grad ist Führung erlernbar. Sie muss aber auch erlernt werden: durch gezielte Weiterbildung, durch Coaching und Mentoring und durch gemachte Erfahrungen. Im Berufsleben wiederholen sich Situationen immer wieder; aus dem richtig oder falsch Gemachten ist viel zu lernen.

Eine meiner wichtigsten frühen Erfahrungen war der falsche Einsatz von Währungsoptionen in meiner Zeit als CFO bei Bayer Japan, der im Rahmen meiner damaligen Verantwortlichkeit zu doch ganz beachtlichen Verlusten führte. Ich habe daraus gelernt, dass ich jedes Derivat selbst komplett verstehen muss, dass ich neben der finanziellen Struktur alle möglichen Auswirkungen erst einmal bilanziell abbilde und dass ich grundsätzlich stärker auf die Derivaterisiken achten muss als auf die Derivatechancen. Als ich später für die großen Derivatepositionen bei der Lufthansa verantwortlich war (Währungen, Kerosin), habe ich aus diesen Erfahrungen geschöpft. Dort ist dann auch nichts schiefgegangen.

In Japan habe ich auch die Bedeutung des Zuhörens entdeckt. Ich habe auch die Erkenntnis gewonnen, dass es nicht immer erforderlich ist, sich zu verteidigen, selbst wenn man im Recht ist. Manchmal hilft eine Entschuldigung, obwohl sie sachlich eigentlich gar nicht erforderlich wäre, eine verfahrene Situation zu bereinigen. Ich habe dort gelernt, dass vieles nicht so schwarz-weiß ist, wie wir in Europa lernen. Der Graubereich, die Welt des Sowohl-als-auch, ist viel größer, als viele bei uns glauben.

Ich habe großartige Chefs gehabt, die mir Mentoren waren, solche, die mir gezeigt haben, mit wie viel Menschlichkeit man führen kann. In Italien sagte mir mein damaliger Chef Hans-Peter Kleefuss: Sie machen eigentlich alles anders, als ich das tun oder gern sehen würde. Aber es ist erfolgreich für das Geschäft, die Menschen schätzen und respektieren Sie. Ich akzeptiere Ihre Andersartigkeit, obwohl es mir nicht leichtfällt. In Japan half mir Theodor Heinrichsohn in einer schwierigen krankheitsbedingten Situation. Von ihm lernte ich, wann das Pflichtbewusstsein des Mitarbeiters (meins) mal zurücktreten kann und wo die Verantwortung des Vorgesetzten beginnt, sich auch im Persönlichen um den Mitarbeiter zu kümmern. Beide sind für mich Vorbilder geworden.

Bei anderen Chefs habe ich viel über Führung erfahren können: das untrügliche Gespür meiner ersten Vorgesetzten Franz-Josef Weitkemper und Klaus Schlede für Zahlen und ihre Bedeutung in der Beurteilung von Sachverhalten; David Ebsworths Dynamik, seine Fähigkeit, Teams hinter sich zu sammeln, Menschen zu motivieren und Geschäfte zu entwickeln; Jürgen Webers untrügliches Gespür für Kunden- und Mitarbeiterbedürfnisse. Ich habe von vielen Menschen gelernt. Für mich gab es nie die eine Führungspersönlichkeit, die das absolute Vorbild war. Mit dem Kult, der um Menschen wie Jack Welch, den früheren GE-Chef, gemacht wurde, konnte ich nie etwas anfangen. Jeder Unternehmensführer hat hervorragende Qualitäten, von denen jeder von uns etwas lernen kann. Aber jeder von uns hat auch ausreichend Defizite. Die zu erkennen und auch daraus zu lernen ist ebenso...

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