Studienerfolg ohne allgemeine Hochschulreife? - Wie Herkunft, Bildungsverlauf und Wahlmotive den Studienerfolg beeinflussen

Studienerfolg ohne allgemeine Hochschulreife? - Wie Herkunft, Bildungsverlauf und Wahlmotive den Studienerfolg beeinflussen

 

 

 

von: Gunar Sonntag

Tectum-Wissenschaftsverlag, 2016

ISBN: 9783828865341

Sprache: Deutsch

310 Seiten, Download: 1425 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Studienerfolg ohne allgemeine Hochschulreife? - Wie Herkunft, Bildungsverlauf und Wahlmotive den Studienerfolg beeinflussen



1.Einleitung

In Hessen ist, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, das Studium an Universitäten in gestuften Studiengängen auch mit der Fachhochschulreife möglich. Hiervon waren zunächst nur einige wenige Studiengänge an der reformorientierten Gesamthochschule Kassel betroffen. Mit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge ab 2002 war ein Studium ohne die allgemeine Hochschulreife nun an mehreren hessischen Universitäten2 und in immer mehr Studiengängen möglich, seit 2007 mit dem Bachelor (B.Ed.) Wirtschaftspädagogik an der Universität Kassel auch in einem Lehramtsstudiengang. Seitdem hat die Zahl der Studierenden ohne allgemeine Hochschulreife (AHR) in diesem Studiengang sprunghaft zugenommen.

Tabelle 1:Zugangsarten der Studienanfänger im Studiengang Wirtschaftspädagogik (im ersten Fachsemester)

AHR Gymnasium

AHR Sonstiges

FHR oder FgHR

Summe

WS 04/05

68

63,0 %

27

25,0 %

13

12,0 %

108

WS 05/06

93

63,3 %

45

30,6 %

9

6,1 %

147

WS 06/07

110

59,8 %

60

32,6 %

14

7,6 %

184

WS 07/08

28

17,0 %

20

12,1 %

117

70,9 %

165

WS 08/09

53

22,7 %

14

6,0 %

166

71,2 %

233

WS 09/10

40

26,1 %

10

6,5 %

103

67,3 %

153

WS 10/11

42

22,3 %

14

7,4 %

132

70,2 %

188

WS 11/12

28

21,7 %

1

0,8 %

100

77,5 %

129

WS 12/13

46

35,4 %

3

2,3 %

81

62,3 %

130

WS 13/14

46

35,7 %

2

1,6 %

81

62,8 %

129

WS 14/15

42

26,6 %

1

0,6 %

115

72,8 %

158

Quelle: eigene Berechnung anhand der Studierendenstatistik der Universität Kassel

Noch im Wintersemester 2006/07 hatten 7,6 % der Studienanfänger3 im Diplomstudiengang als Zugangsvoraussetzung lediglich die Fachhochschulreife (FHR) oder eine fachgebundene Hochschulreife (FgHR) vorzuweisen. Mit der Einführung des B.Ed. stieg diese Quote auf 70,9 % im Wintersemester 2007/08 und hält sich seit dem um die 70 % (siehe Tabelle 1). Erst ab dem Wintersemester 2012/13 konnte – vermutlich bedingt durch die Einführung weiterer, über die Abschlussnote hinausgehender Zulassungskriterien – wieder ein Anstieg der Studienanfänger mit allgemeiner Hochschulreife festgestellt werden.

Der gestiegene Anteil von Studierenden ohne allgemeine Hochschulreife ist bildungspolitisch in doppelter Weise bedeutsam: Zum einen entspricht es aktuellen bildungspolitischen Intentionen, den Zugang zu akademischer Bildung zu erleichtern, um den Anteil der Studierenden zu erhöhen. Zum anderen werden Lehramtsstudiengänge traditionell besonders häufig zum Vehikel sozialen Aufstiegs.4 Die Frage, wie erfolgreich das Studium von Studierenden ohne allgemeine Hochschulreife verläuft, ist daher weit über den hier untersuchten Studiengang von Relevanz. Es geht dabei im Kern um die Frage, ob Inklusion über die Öffnung formaler Zugangswege erfolgreich sein kann oder ob hier nur scheinbar Chancen eröffnet werden, die sich an späterer Stelle im Lebenslauf oder zu einem späteren Zeitpunkt wieder auflösen. Verbunden wäre dies mit hohen individuellen wie gesellschaftlichen Kosten.

Die vorliegende Arbeit soll daher Erkenntnisse darüber ermöglichen, welche Auswirkungen die unterschiedlichen Hochschulzugangsberechtigungen auf den objektiven, d. h. beispielsweise durch Noten messbaren und den subjektiven, d. h. individuell erwarteten, Studienerfolg haben. Dabei sollen beispielsweise die Prüfungsergebnisse der studienbegleitenden Prüfungen der Studierenden mit allgemeiner Hochschulreife mit denen ihrer Kommilitonen ohne allgemeine Hochschulreife verglichen werden.

Für eine heterogene Studierendengruppe wird es eine Herausforderung darstellen, den Begriff des Studienerfolgs klar zu definieren. Gerade unter dem Gesichtspunkt der unterschiedlichen Voraussetzungen kann Erfolg individuell sowohl im Erreichen einer angestrebten Note, als auch im bloßen Abschluss eines Hochschulstudiums liegen. Um die Prüfungsergebnisse mit den eigenen Zielen in Verbindung bringen zu können, wurden zusätzlich die Studienwahlmotive und Erfolgserwartungen der Studienanfänger untersucht.

Der Studiengang B.Ed. Wirtschaftspädagogik an der Universität Kassel ist aus mehreren Gründen besonders geeignet für diese Untersuchung. Die Kämpfe um die Bildungspolitik sind kennzeichnend für die hessische Landespolitik der vergangenen Jahrzehnte.5 Dass nun Hessen das Studium an Universitäten auch mit Fachhochschulreife zulässt, bietet die Chance, hier Feldforschung zu betreiben, welche in anderen Bundesländern aufgrund der Immatrikulationsregeln der Hochschulgesetze nicht möglich wäre.

Die Universität Kassel bietet für diese Forschung zudem besondere Bedingungen, da sie als Gesamthochschule gegründet und mit der Tradition der o. g. Bildungsreform bereits über eine jahrzehntelange Erfahrung mit gestuften Studiengängen verfügte, bevor diese während der vergangenen Jahre im Zuge der Bologna-Reform in Deutschland flächendeckend eingeführt wurden. Auch aus diesem Grund konnte der Studiengang B.Ed. Wirtschaftspädagogik bereits bei seiner Einführung im Jahr 2007 auf Erfahrungen zurückgreifen, welche die Vermutung zuließen, dass der Studiengang in seiner Grundstruktur während des Untersuchungszeitraums nicht verändert werden würde. An vielen anderen Universitätsstandorten mussten die im Zuge der Bologna-Reform konzipierten Studiengänge hingegen aufgrund der Erfahrung mit den ersten Studierendenkohorten nochmals grundlegend überarbeitet werden.

Auch die Tradition des untersuchten Studiengangs lässt diesen als für die Fragestellung besonders geeignet erscheinen. Zunächst wurden mit einer Maßnahme in den 70er-Jahren ausgebildete Ökonomen an der Gesamthochschule Kassel zu Handelslehrern weiterqualifiziert. Daraus entstand in den 80er-Jahren ein grundständiger Studiengang zum Diplom-Handelslehrer. Die ersten Teilnehmer dieses Aufbaustudiengangs waren dabei überwiegend Studierende ohne Abitur, die an einer Fachhochschule (FH) ihr Erststudium absolviert hatten.6

Der hohe Anteil von Studierenden ohne Abitur ist somit auch auf historische Einflüsse zurückzuführen und in der bundesdeutschen Hochschullandschaft ungewöhnlich. Im bundesweiten Schnitt nämlich konnten laut einer Untersuchung der Hochschul-Informations-System eG (HIS) 96 % der Studienanfänger an Universitäten des Wintersemesters 2009/10 ein Abitur vorweisen und nur je 2 % verfügten über die Fachhochschulreife oder die fachgebundene Hochschulreife.7 Weitere Zugangswege – wie z. B. der Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte – spielen eine noch geringere Rolle. In der Ortsauswertung der Sozialbefragung des Deutschen Studentenwerks haben für den Standort Kassel im Jahr 2009 hingegen 25 % der Studierenden angegeben, über die Fachhochschulreife zu verfügen.8 Dieser hohe Anteil ist somit für die Universität Kassel typisch. Er wird durch einzelne Bachelorstudiengänge gestützt, zu denen der untersuchte Studiengang Wirtschaftspädagogik gehört.

Neben der Art des Hochschulzugangs sollen weitere Kriterien der Studienvorphase ins Verhältnis zum Studienerfolg betrachtet werden. So sollen, ergänzend zur Frage des Studienerfolgs ohne allgemeine Hochschulreife, auch die Herkunft und die Studienwahlmotive der Studienanfänger Berücksichtigung finden, um einen breiteren Zugang zur Relation von Studienvorphase und Studium zu ermöglichen.

Der theoretische Hintergrund wird dabei zunächst in Kapitel 2 dargestellt. Hierbei werden verschiedene Perspektiven auf den Studienerfolg vorgestellt. Da die Frage nach dem Erfolg einer bestimmten Studierendengruppe und die Verknüpfung mit Themen der sozialen Selektivität auch den Punkt berührt, wer Lehrerin oder Lehrer wird und warum dieser Weg eingeschlagen wird, folgen zwei Kapitel zu Studienwahlmotiven und soziodemographischer Betrachtung von Lehrkräften. Die beiden anschließenden Kapitel sind der Bildungsgerechtigkeit und der Möglichkeit von sozialem Aufstieg durch ein Studium der Wirtschaftspädagogik gewidmet. Hierzu gilt es,...

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