Otto Moralverbraucher - Vom Sinn und Unsinn engagierten Konsumierens

Otto Moralverbraucher - Vom Sinn und Unsinn engagierten Konsumierens

 

 

 

von: Caspar Dohmen

OrellFüssli, 2014

ISBN: 9783280038130

Sprache: Deutsch

224 Seiten, Download: 392 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Otto Moralverbraucher - Vom Sinn und Unsinn engagierten Konsumierens



Prolog

Die Katastrophe in der bengalischen Stadt Savar katapultierte die Frage nach der Verantwortung für Produktionsbedingungen auf die globale Tagesordnung. Am 24. April 2013 stürzte binnen neunzig Sekunden der neunstöckige Gebäudekomplex Rana Plaza ein. Über 1100 Menschen starben, mehr als 2400 verletzten sich. Das schwerste Fabrikunglück in der Geschichte Bangladeschs war jedoch vorhersehbar gewesen. Der Besitzer hatte Auflagen umgangen, schlechtes Material verwendet und das Gebäude auf sumpfigem Gelände errichtet – die Behörden schauten tatenlos zu. Gerade einmal fünf Jahr hielt der Gebäudekomplex, dann brach er wie ein Kartenhaus in sich zusammen, weil er den Belastungen der tonnenschweren Dieselgeneratoren nicht standhalten konnte, die regelmäßig im Gebäude angeworfen wurden, wenn wieder einmal der Strom ausfiel – wie am Unglückstag. Trotzdem hätte niemand sterben müssen. Vor dem Zusammensturz gab es ausreichend Alarmzeichen wie Risse in dem Gebäude, weswegen eine Bank ihre Filiale schloss und die Mitarbeiter nach Hause schickte. Anders reagierten die Verantwortlichen der fünf in dem Komplex untergebrachten Textilfabriken: Sie beorderten Tausende Beschäftigte an die Nähmaschinen. In den Trümmern lagen neben den Leichen auch hunderte Etikette, ob von Joe Fresh, Primark, Benetton, Wal-Mart, Mascot, The Children´s Place und KiK. Solche großen Modehäuser und Einzelhandelsketten sind die Verbindungsglieder zwischen den Fabriken im Süden und den Konsumenten im Norden. Deren Einkäufer vergeben immer mehr Aufträge nach Bangladesch, aktuell das führende Billiglohnland in Sachen Textilien. Daran hat auch die Katastrophe nichts geändert. In dem Monat nach dem Unglück stieg der Exportumsatz des Landes mit Textilien sogar noch an.

Wer der Geiz-ist-geil-Mentalität vieler Konsumenten und den Rendite-Erwartungen der Investoren gerecht werden will, vergibt gerne Aufträge in das Land mit seinen 160 Millionen Einwohnern. In Kambodscha beträgt der Mindestlohn für Textilarbeiter bereits das Doppelte, in Nicaragua, dem zweitärmsten Land der westlichen Hemisphäre, das Dreifache, und in China sogar bereits das Fünffache. Dagegen bekommen viele Näherinnen in Bangladesch für einen Monat Plackerei nur den Mindestlohn von 37 Dollar ausbezahlt – sie leben trotz Knochenarbeit in absoluter Armut. Deren Grenze zieht die Weltbank nämlich bei einem Einkommen von täglich 1,25 Dollar, was monatlich etwa 37 Dollar entspricht. Wer in absoluter Armut lebt, kann definitionsgemäß lebenswichtige Grundbedürfnisse nicht befriedigen, leidet unter schwerwiegenden Entbehrungen und kämpft permanent um sein Überleben.

Vier Millionen Menschen arbeiten in der Bekleidungsindustrie von Bangladesch, davon vier Fünftel Frauen. Sie nähen in 13-bis 16-Stunden-Schichten. Überstunden, Lohndumping und sexuelle Übergriffe sind an der Tagesordnung. Als Gegenargument gegen deutliche Lohnerhöhungen wird angeführt, dass dann internationale Firmen weniger Aufträge in das Land vergeben könnten und es den Leuten folglich noch schlechter ginge. Das darf aber nicht als Entschuldigung dafür dienen, die Hände in den Schoss zu legen. Denn wahr ist auch, dass die Frauen meist keine andere Möglichkeit haben, als in solchen Fabriken zu nähen. Das ist jedoch kein Naturgesetz. Gäbe es weltweit strengere Mindeststandards für die Produktion, würden davon selbstverständlich auch die Beschäftigten in Bangladesch profitieren. Und wahr ist auch, dass die Konzerne anders kalkulieren und den Arbeitern mehr bezahlen könnten – sie haben den notwendigen Spielraum. Das zeigt ein Blick in die Bilanzen großer Modekonzerne: Inditex, der größte Textilhersteller der Welt, dem Marken wie Zara, Massimo Dutti, Stradivarius gehören, erzielte allein 2012 einen Nettogewinn von 2,4 Milliarden Euro, und bei H&M, einem seiner härtesten Rivalen, waren es 1,79 Milliarden Euro. Selbst bei dem Textildiscounter Primark beträgt der Gewinnanteil ungefähr ein Zehntel des Umsatzes. Die Modefirmen und der Handel müssten schätzungsweise nur etwa 25 Eurocent je Kleidungsstück mehr an Lohn einkalkulieren, damit eine Näherin in Bangladesch monatlich etwa 120 Dollar erhalten könnte, also den Lohn, den das Gewerkschaftsbündnis Asia Floor Wage für notwendig hält. Denn laut der NGO Kampagne für Saubere Kleidung betragen die Lohnkosten bei einer in Asien genähten Jeans für hundert Euro Ladenverkaufspreis gerade einmal ein Euro. Auf die Werbung entfallen 25 Euro und satte 50 Euro bekommt der Handel.

Weitere Unglücksfälle sind vorprogrammiert. Rund 240 000 industriell genutzte Gebäude gibt es allein rund um die bengalische Hauptstadt Dhaka. Jeder dritte Bau gilt als besonders gefährdet und müsste eigentlich geschlossen werden. Dazu wird es jedoch nicht kommen, weil das bitterarme Land von der Textilindustrie abhängig ist. Bangladesch ist kein Einzelfall: Zu schweren Zwischenfällen kommt es regelmäßig auch an anderen Werkbänken des Südens. Dagegen gibt es in den Fabriken im Norden meist hohe Sicherheitsstandards, die zudem gewöhnlich penibel überwacht werden.

Die bengalischen Beschäftigten kämpften immer wieder für bessere Arbeitsbedingungen: Sie legten bei Streiks mehrfach hunderte Fabriken lahm, um einen besseren Schutz und einen höheren Mindestlohn durchzusetzen. Die Polizei ging regelmäßig mit Tränengas und Gewalt gegen protestierende Arbeiter vor. Auf dem Papier besteht zwar Gewerkschaftsfreiheit, in der Praxis gibt es aber große Hürden. Wer sich für die Rechte der Arbeiter einsetzt, werde von Behörden »schikaniert und eingeschüchtert«, heißt es bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Gewerkschafter riskieren sogar ihr Leben. So wie der ehemalige Textilarbeiter Aminul Islam, der schon einmal vom Geheimdienst wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten verhört worden war, bevor er im April 2012 ermordet aufgefunden wurde, mit Folterspuren.

42 Prozent der Parlamentsabgeordneten besitzen eine Textilfabrik. Auch die Unglücksfabrik in Savar gehörte einem Politiker, der sich gute Chancen ausrechnete, bald einen Sitz im Parlament zu erlangen. Diese eng verwobene wirtschaftliche und politische Elite hat bislang fast jeden Fortschritt für die Beschäftigten abgeblockt. Die Lieferanten werden aber auch selbst von den Auftraggebern unter Druck gesetzt, beispielsweise indem bei der Abnahme Mängel reklamiert werden. Es ist eine Abwärtsspirale. In diesem Umfeld können die Fabrikanten kaum höhere Preise durchsetzen. Schließlich ist die Karawane der Textilhersteller in den vergangenen Jahrzehnten schon oft weitergezogen, bald könnte ein Sprung nach Afrika anstehen.

Bangladesch ist nicht einmal die unterste Stufe der weltweiten Arbeitsteilung in der Textilindustrie. So vergab der ostwestfälische Modemacher Gerry Weber 2008 Aufträge nach Nordkorea, also in jene Bastion des Steinzeit-Kommunismus, wo Bürger regelmäßig bei geringsten Unbotmäßigkeiten in Arbeits-und Erziehungslager eingesperrt werden. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht von »hunderttausenden mutmaßlichen Oppositionellen und Dissidenten«, die interniert sind. Noch 2011 verteidigte Vorstandschef Gerhard Weber die Entscheidung für die Produktion in Nordkorea in der Zeitschrift Börse Online: »Wenn in Nordkorea niemand mehr produzieren lassen würde, ginge es den Menschen dort noch schlechter.« Mittlerweile hat das Unternehmen einen Rückzieher gemacht und vergibt keine Aufträge mehr nach Nordkorea. Aus den nordkoreanischen Sonderwirtschaftszonen und abgeschotteten Arbeitslagern dringen – anders als aus Bangladesch – kaum Nachrichten bis zum westlichen Verbraucher.

Bislang gibt es meistens nur Placebo-Vereinbarungen in der Textilindustrie, in denen Auftraggeber ihre Order an Mindeststandards bei den Zulieferern knüpfen. Dass diese in der Praxis von den Subunternehmen nicht eingehalten werden und teilweise auch gar nicht eingehalten werden können, kümmert sie oft wenig. Als weitgehend wirkungslos dürfte sich auch das von der Branche gefeierte neue Abkommen für Brandschutz und Gebäudetechnik entpuppen, welches nach dem Einsturz des Rana Plaza fast alle europäischen Modemarken und Textilhändler unterschrieben. Ein vernichtendes Urteil fällte die Wirtschaftswoche: »Vorläufig ist das Abkommen nicht mehr als ein breit angelegtes PR-Manöver: Dem temporär schockierten Verbraucher soll suggeriert werden, dass sich die Modelabel um die Sicherheit der Arbeiter kümmern.«

Die Verbraucher selbst reagierten kaum auf das Unglück, jedenfalls nicht messbar. Dabei haben Politiker, Kommentatoren und Aktivisten an Recht auf die Verantwortung der Konsumenten in den westlichen Abnehmerländern verwiesen, die 90 Prozent der Textilproduktion aus dem...

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