Haus ohne Augenbrauen. Architekturgeschichten aus dem 20. Jahrhundert

Haus ohne Augenbrauen. Architekturgeschichten aus dem 20. Jahrhundert

 

 

 

von: Ursula M. Muscheler

C.H.Beck, 2007

ISBN: 9783406548017

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 2103 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Haus ohne Augenbrauen. Architekturgeschichten aus dem 20. Jahrhundert



Gartenstadt – Letchworth City in England (S.24)

Ebenezer Howard ab 1903

Eng, fi nster, überfüllt und schmutzig, ratternd, surrend, qualmend und stinkend – so erschien vielen Augenzeugen das Leben in London, neben Paris im 19. Jahrhundert die Großstadt Europas. Die Straßen, lesen wir in Charles Dickens Oliver Twist von 1837, waren morastig, die Luft erfüllt von ekelhaften Gerüchen. In den Straßen drängten sich die proletarisierten Handwerker und zugezogenen Landarbeiter mit den Betrunkenen und Kriminellen auf engstem Raum.

Das eigentliche Wesen Londons, so Theodor Fontane, der Mitte des 19. Jahrhunderts mehrere Jahre in London lebte, sei die Massenhaftigkeit: das unendliche Häusermeer und der unerschöpfl iche Menschenstrom der Citystraßen. «Überall ist es die Zahl, die Menge, die uns Staunen abzwingt.»19 Bereits 1828 berichtete Heinrich Heine in seinen Englischen Fragmenten, er habe das Merkwürdigste gesehen, was die Welt dem Geist zeigen könne.

«Noch immer starrt in meinem Gedächtnisse dieser steinerne Wald von Häusern und dazwischen der drängende Strom lebendiger Menschengesichter mit all ihren bunten Leidenschaften, mit all ihrer grauenhaften Hast der Liebe, des Hungers und des Hasses – ich spreche von London.» Diese Stadt der kolossalen Einförmigkeit, der maschinenhaften Bewegung erdrücke die Phantasie und zerreiße das Herz.

Hier spüre man den Pulsschlag der Welt, blicke man auf die tosende Straße, «wo ein buntscheckiger Knäul von Männern, Weibern, Kindern, Pferden, Postkutschen, darunter auch ein Leichenzug, sich brausend, schreiend, ächzend und knarrend dahinwälzte.»

London zählte bereits 1851 zwei Millionen Einwohner und 1901 sechseinhalb Millionen. Immer mehr Menschen drängten im Zuge der Industrialisierung in die Stadt, die Bodenpreise stiegen und damit die Verdichtung der Bebauung und die Höhe der Mieten. Die am Stadtrand gelegenen Dörfer wurden nach und nach einverleibt, die Stadt wuchs, und ihre Größe wurde zur Ursache immer neuen Wachstums.

Die Illustrationen Gustave Dorés zeigen uns das London von 1872 als eine überfüllte Stadt der Arbeit, der Armut, der verrufenen Quartiere, der Docks, der Salons und der Rennen. Wer es sich leisten konnte, verließ das Zentrum und siedelte, unterstützt durch den Ausbau der underground, in die Vorstädte um, die ab 1875 entlang der neuen U-Bahn-Strecken entstanden.

Bereits zur Jahrhundertwende wohnten die meisten Angehörigen der Mittelschicht in den suburbs, während der mob nach wie vor zusammengepfercht in der City lebte, da er darauf angewiesen war – die Fahrpreise waren hoch –, zu Fuß zur Arbeit zu kommen. 1888 lebte ein knappes Drittel der Einwohner Londons mehr oder weniger in Wohnungsnot.

In den beengten Verhältnissen der Londoner City war Ebenezer Howard (1850–1928) als Sohn eines Ladenbesitzers aufgewachsen. Er beschloss 1872, ein früher alternativer Aussteiger, mit zwei Freunden nach Amerika auszuwandern und sich als Landwirt niederzulassen. Da alle drei wenig von Ackerbau und Viehzucht verstanden, scheiterten sie bald. Howard wurde Stenograph, zuerst in Amerika, wo er sich fünf Jahre lang aufhielt, dann in England, wo er Mitarbeiter einer Firma wurde, die für die Protokollierung der Parlamentsdebatten zuständig war.

Als Howard im Verlauf seiner Parlamentstätigkeit erkannte, wie schwer sich die Parteien jeglicher Couleur taten, Lösungen für die dringendsten Probleme der Zeit zu fi nden, begann er, wie viele seiner Zeitgenossen angeregt durch die Lektüre des utopischen Romans Looking Backward von Edward Bellamy, selbst nachzudenken.

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