Moderne Ernährungsmärchen
von: Sven-David Müller-Nothmann, Michael Vogt, Doreen Nothmann
Schlütersche, 2010
ISBN: 9783842681637
Sprache: Deutsch
160 Seiten, Download: 3869 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
"4.1 Tiefkühlware enthält keine Vitamine (S. 46)
Dieses Märchen erscheint dem Betrachter als völlig einleuchtend. Sowie ein Lebensmittel steinhart gefroren ist, hören seine wertvollen Inhaltsstoffe, also seine Vitamine und Mineralstoffe, sofort auf zu existieren. Der gefährliche Gefrierbrand zerstört die Zellen und sorgt dafür, dass ... ja, dass was eigentlich? Tötet die konservierende Kälte die Vitamine einfach ab?
Sind etwa alle Vitamine komplex aufgebaute Eiweiße, die den geringsten Temperaturschwankungen einfach erliegen? Wohl eher nicht. Schon vor Tausenden von Jahren haben Menschen Lebensmittel einfach eingefroren, um sie vor dem Verderb zu schützen. Zwar gab es zu dieser Zeit natürlich noch keine Gefrierschränke, aber die Eskimos konnten sich diese Methode auch ohne moderne Technik und dank ihrer extrem harten Lebensbedingungen zu Nutze machen. Ihre Beute bewahrten sie einfach im ewigen Eis oder in Iglus auf.
Im Jahre 1876 entwickelte Karl von Linde ein Gerät, mit dem er künstlich Kälte erzeugen konnte. Schon vier Jahre später konnte die Haltbarkeit von Lebensmitteln in Kühlhäusern an Land und in Tiefkühlladeräumen auf See verlängert werden. Die wohl am schnellsten verderblichen Lebensmittel, Fische, wurden als erstes im Jahre 1925 in Europa in ihrer Tiefkühlvariante produziert. 1937 folgte die Produktion von Tiefkühlobst und -gemüse. Mit dem Wirtschaftwunder der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hielten Tiefkühlgeräte in vielen privaten Haushalten Einzug. Heute sind mindestens zwei Drittel der deutschen Haushalte mit einem Gefriergerät ausgestattet, die meisten Kühlschränke verfügen über ein integriertes Gefrierfach.
An der Zusammensetzung der Tiefkühlkost hat sich im Laufe der Zeit sicher so einiges verändert. Die Rohprodukte für die Tiefkühlindustrie werden immer hochwertiger und entsprechen meist der Qualität ihrer frischen Kontrahenten. Viele Landwirte, Obstbauern und Gärtner haben direkte Abnahmeverträge mit Gefrierwaren produzierenden Unternehmen, so dass die Waren frisch an die entsprechenden Werke abgeliefert werden können. Denn auch bei Tiefkühlkost zählt: Je frischer sie verarbeitet und eingefroren wird, umso hochwertiger ist das Endprodukt.
Und wenn dabei auch noch erntereifes Obst und Gemüse dank kurzer Anfahrtswege eingefrostet wird, liegt doch die Vermutung nahe, dass das aufgetaute Essen dann dem Verbraucher einen noch wertvolleren Inhalt präsentiert, als das manchmal mehrere Tage alte „Frischobst"" und „-gemüse"" der Supermärkte. Obst und Gemüse brauchen nämlich von der Ernte bis zur Gefrieranlage nur eineinhalb bis fünf Stunden. Danach wird die geerntete Ware selektiert, gereinigt und unter Umständen geschält und in einigen Fällen noch zerkleinert. Damit Farbe und Vitamine erhalten bleiben, bzw. in bestimmten Fällen sich erst entfalten, blanchiert man bestimmte Sorten vor dem Einfrieren. Die Lebensmitteltechnologie hat für die unterschiedlichen Produkte auch unterschiedliche Tiefkühlverfahren entwickelt.
Diese Methoden sind z. B. abhängig von der Weiterverwendung des Verbrauchers, aber auch von der Beschaffenheit der Rohstoffe. Spinat beispielsweise wird im verpackten Zustand tiefgefroren."