Führen, Leisten, Leben. Wirksames Management für eine neue Zeit
von: Fredmund Malik
Campus Verlag, 2006
ISBN: 9783593402918
Sprache: Deutsch
401 Seiten, Download: 5170 KB
Format: EPUB, PDF, auch als Online-Lesen
Kapitel 1 Die ideale Führungskraft – eine falsch gestellte Frage (S. 33-34)
Überall und ständig ist von Anforderungen an Führungskräfte die Rede. In praktisch jeder Diskussion über Management kommt dieses Thema auf. Wenn man den Dingen auf den Grund geht, stellt sich fast immer heraus, dass – teils ausgesprochen, häufiger aber still schweigend unterstellt – eine bestimmte Vorstellung dominierend ist: das Bild der idealen Führungskraft. Sobald das Wort »Management« fällt, denken die meisten Menschen reflexartig in diese Richtung – sie denken an die Frage: Was ist der ideale Manager? Das ist auch die Frage, die die Managementliteratur dominiert. Sie beherrscht die Ausbildung von Führungskräften – und sie ist falsch.
Das Universalgenie
Diese Frage lässt sich heute, nach 30 oder 40 Jahren empirischer Forschung auf diesem Gebiet, problemlos beantworten, und das rückt sie – alles andere ausschließend – ins Zentrum des Interesses. Auf diesem Gebiet ist alles erforscht worden, was man erforschen kann. In 40 Jahren empirischer Sozialforschung ist jeder Fragebogen beantwortet, jedes Interview geführt und jeder Test gemacht worden. Als Ergebnis kennen wir das Profil der idealen Führungskraft sehr genau.
Daher hat jeder Personalchef, der etwas auf sich hält, eine mehr oder weniger lange Liste in seinem »Werkzeugkasten«, die er konsultiert, wenn es um Personalangelegenheiten geht, zum Beispiel: wenn Stellen zu besetzen, Anforderungsprofile zu erstellen, Kriterien für die Leistungsbeurteilung festzulegen und Stelleninserate zu texten sind und natürlich, wenn Ausbildungsprogramme konzipiert und Referate gehalten werden müssen.
In diesen Listen ist alles aufgeführt, was man gängiger Meinung nach von einer Person erwarten muss, wenn sie für eine Führungsposition in Frage kommen soll – Fähigkeiten, Kenntnisse, Persönlichkeitsmerk male, Charakterzüge, Eigenschaften, Erfahrungen, Qualitäten und Kompetenzen. Das alles klingt so plausibel, dass man kaum auf die Idee kommt, es zu hinterfragen. Schließlich ist es auch durch zahlreiche Forschungsprojekte gesichert. Wie könnte man daran also zweifeln?
Hier ein paar Beispiele: In einer Untersuchung wurden die 600 größten Unternehmen gefragt, welche Management-Qualitäten sie verlangen. Das Ergebnis ist eindrucksvoll: unternehmerisch denkend, teambildend, kommunikativ, visionär, international ausgerichtet, ökologisch orientiert, sozial orientiert, integer, charismatisch, multikulturell und intuitiv entscheidend. Bezeichnenderweise erst am Schluss und mit den wenigsten Stimmen kommt die Eigenschaft »kundenorientiert«.
Im Bulletin einer global operierenden Schweizer Großbank war eine Abhandlung eines ihrer Spitzenmanager über die »Zwölf I des Idealprofils« zu lesen. Man durfte erfahren, dass der Manager von morgen unter anderem interrogativ-integral sein müsse und integrierend-intermediär sowie interkommunizierend-instruierend – vielleicht doch nicht gerade das, was man in der Schule lernt.
In der meistverbreiteten Managerzeitschrift eines deutschsprachigen Landes wurde »Das ABC der neuen Anforderungen« veröffentlicht mit insgesamt 45 »zukunftssichernden Schlüsselqualifikationen«, unterteilt nach »persönlichen Eigenschaften, Management qualitäten und organisatorischen Faktoren« – ein Kompendium wünschenswerter Fähigkeiten.
Und damit die Sache ganz prak tisch wird, hat man alles in die Form eines Tests gebracht, den man gleich selbst durchführen und auswerten kann. Dass man unter Begriffen wie kommunikative Kompetenz, Empathie, Zukunftsorientierung oder Systemintegration, die sich in den Testlisten finden, fast alles und auch das Gegenteil davon verstehen kann, wird großzügig übersehen. Wenn man dann eine Note zwischen 1,0 und 2,5 erzielt, kann man anschließend lesen, dass man davon ausgehen dürfe, »dass Sie oder die Testperson den Anforderungen an das neue Profil des Business- Virtuosen genügen.« Aha …