Kunststoffchemie für Ingenieure

5 Chlor-Kunststoffe (S. 255-256)

G
be es einen Preis fr den vielseitigsten Werkstoff bei den Kunststoffen, so wrde der Träger dieses Preises ganz gewiss PVC heißen. Auch scheiterten bisher alle „öko"- Bemhungen, dem PVC ein „Down-sizing" zu verpassen. Im Gegenteil: Mit einem Chlorgehalt von 56,7% an der molaren Masse (Molekulargewicht) verfgt das PVC ber strategische Vorteile gleich in zweifacher Hinsicht. Zum einen stellt es ein hochwillkommenes Koppelprodukt der Chlorchemie dar; zum anderen macht der Chloranteil – ähnlich wie beim Natriumchlorid (Kochsalz) – mehr als die H
lfte des Eigengewichts des PVCMolek ls aus. Ergo bedeutet dies erhebliche Einsparungen hinsichtlich benötigter Erdölbzw. Erdgasprodukte bei der PVC-Synthese. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die neuen ganzheitlichen ökobilanzen dem PVC, vor allem wegen dieses geringen Energieverbrauchs, zu einer regelrechten „Wiedergutmachung" verhelfen.

Die Zukunftsaussichten für ein weiteres Wachstum der Chlor-Kunststoffe – bis heute die zweitgrößte Kunststoffgruppe – bleiben daher intakt, vgl. Abschnitt 2.7.1. Vielen Unkenrufen zum Trotz!

5.1 Hart-Polyvinylchlorid PVC-U (Hart-PVC, weichmacherfreies PVC)
5.1.1 Das Wichtigste in Kürze über Hart-Polyvinylchlorid
Hart-PVC, PVC-U (Unplasticized), ein amorpher Thermoplast, ist fest, hart, ohne Schlagmodifizierung relativ spröde und besitzt eine sehr gute Sure- und Basenbest ndigkeit. Entflammtes Hart-PVC erlischt nach Entfernen einer Zündquelle. Ohne Zusatz von Wrmestabilisatoren ist PVC nicht verarbeitbar, für den Einsatz unter Licht- und Wettereinwirkung sind weitere Stabilisierungsmaßnahmen nötig. Schwerpunkte der Anwendung von Hart-PVC sind: Rohre, Fittings, Profile und Folien. Einen Vergleich von Eigenschaften ermöglicht Tabelle 5.6 am Ende dieses Kapitels.

5.1.2 Handelsnamen (Beispiele)

Evipol (EVC); Lacovyl (Atofina); Marvylan (LVM); Solvin (Solvin); Vestolit (Vestolit); Vinnolit (Vinnolit).

5.1.3 Eigenschaften

Hart-PVC weist gute Festigkeit, gute bis hohe Steifigkeit und Hrte auf. Seine Schlagzhigkeit ist im Vergleich zu vielen anderen Thermoplasten geringer, insbesondere unterhalb Raumtemperatur, was durch Zusatz von „Schlagzhmachern" verbessert werden kann. Die Einsatzgrenzen liegen zwischen ca. -5 und 65 C Dauertemperatur; kurzfristig bis etwa 75 C. Hart-PVC besitzt eine mittlere Wärmedehnung.

Bei entsprechender Rohstoffauswahl und geeigneter Rezeptur lassen sich glasklare Produkte herstellen. Es ist ohne Schwierigkeiten einfärbbar.

Hart-PVC zeigt beim Biegen (Kaltformen) häufig „Weißbruch", auch „Crazing" genannt. So treten beispielsweise beim Biegen von Platten helle Streifen auf, die aus zahllosen Mikroverstreckungen („Crazes") bestehen. Diese stellen orientierte Bndel von Makromoleklen mit einem Durchmesser von hochstens 0,1 mm dar. Der Weißbruch wird bei PVC-Prägefolien ausgenutzt, um helle Buchstaben, Zahlen oder andere Zeichen in einer dunkel eingefärbten Folie mit einer Prägezange sichtbar zu machen. Bei PVC-Klarsichtfolien auftretender Weißbruch führt zu unschönem Aussehen.

Die elektrischen Isoliereigenschaften sind als „mittelmäßig" einzustufen. Es ist besonders geeignet fr Einsatzzwecke im Niederspannungs- und Niederfrequenzbereich (blicher Wechselstrom von 220/380 V, 50 Hz). Ungeeignet ist es fr die Hochfrequenzisolation. Hart-PVC besitzt gute Kriechstromfestigkeit.

Hart-PVC ist beständig gegen Säuren, Basen, aliphatische Kohlenwasserstoffe, Öle, Fette und Alkohole. Es ist unbeständig gegen aromatische und Chlor-Kohlenwasserstoffe, Ketone und Ester. Die Feuchteaufnahme ist abhängig von der PVC-Rohstofftype. Sie steigt in der Folge M-, S-, E-PVC. Folien aus Hart-PVC sind wasserdampfdurchlässiger, aber gasdichter als solche aus Polyolefinen. Es zeigt wegen seiner guten chemischen Beständigkeit kaum Neigung zur Bildung von Spannungsrissen. Wenn PVC sachgemäß stabilisiert ist, widersteht es Witterungseinflssen; bei bestimmten Rezepturen, vor allem hellen Einfärbungen, muss es mit Lichtstabilisatoren („UV-Absorber") versetzt werden. Wegen des hohen Chlor-Gehaltes erlischt entflammtes Hart-PVC – ohne weitere Zusätze! – nach Entfernen einer Zndquelle (sog. „selbstverlöschendes" oder „schwerentflammbares" bzw. „flammwidriges" Verhalten). Bei Verwendung im Lebensmittelbereich und in anderen Füllen, wo es auf „physiologische Unbedenklichkeit" (physiologisch: den Körper betreffend) ankommt, z. B. Kinderspielzeug, Bekleidung, Verpackungen für Lebensmittel, Getränke, Arzneimittel, sind – wie bei allen anderen Werkstoffen auch – die gesetzlichen Bestimmungen zu beachten.