Im Ruhrgebiet - Mapping und Raumspiele

Im Ruhrgebiet - Mapping und Raumspiele

 

 

 

von: Klaus-Peter Busse

Books on Demand, 2022

ISBN: 9783756298334

Sprache: Deutsch

132 Seiten, Download: 2998 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Im Ruhrgebiet - Mapping und Raumspiele



MAPPING


Postkarten, Landkarten, Archive, Benjamins Texte über Paris und andere Städte: All das ist Gegenstand der ausgesprochen künstlerischen Raumerkundung, die sich von alltagsästhetischen und wissenschaftsorientierten Vorhaben abgrenzt. Unterschiedliche Formen der künstlerischen Raumerkundung sind dabei unterscheidbar. Eine besondere (weiche) Form liegt vor, wenn Karten und Raumerkundungen in einem weiten Handlungskontext zusammen mit anderen Methoden benutzt werden, wie dies in Tacita Deans Projekt »Sebald« geschieht.1 Die Künstlerin erhielt von ihrem Großvater eine Karte, mit denen britische Militärpiloten im Zweiten Weltkrieg navigierten. Die Karte hatte der Großvater bei einem Flugzeugabsturz in Goch am Niederrhein gefunden, und Tacita Dean macht sich auf den Weg, den Fundort dieser Karte und seine Geschichte während des Krieges zu erkunden. Sie verbindet bei ihrer Recherche immer weitere kulturgeschichtliche Kontexte miteinander, ohne Karten zu zeichnen. Ganz anders arbeitet Patrizia Bach2, die alle Orte aufsucht, die das Passagen-Werk von Walter Benjamin erwähnt. Sie entwickelt auf diese Weise einen »Paris-Stadtplan« von Benjamins Passagen-Orten. Gleichzeitig zeichnet sie auf Blättern, deren Struktur den Manuskript-Seiten Benjamins entspricht. Diese Zeichnungen sind ihre deutenden Visualisierungen der Ortsbeschreibungen des Stadtwanderers Benjamin. So entsteht ein zeichnerisches Kartenmaterial, in dem sich eine Raumerkundung mit Karten unter Entstehung neuer Karten verdichtet: eine harte Form der Raumerkundung, ähnlich den Projekten von Anett Frontzek, die Land- und Seekarten mit einem Skalpell nahe rückt, um Funklinien oder Straßenverläufe in Form des Papercuts auszuschneiden.3 Von den Karten bleiben nur feine ausgeschnittene Linienspuren. Neben vielen anderen Projekten (z.B. zum Phoenix-See in Dortmund) benutzt die Künstlerin Karten, um sie zu verfremden oder in einen anderen Gebrauch zu überführen. Diese besondere Form der künstlerischen Raumerkundung, die sich vollständig auf den Umgang mit Karten konzentriert, ist der Inhalt der künstlerischen Raumerkundung und ihrer medialen Skripte, und nur hierauf sollte man den Begriff »Mapping« beziehen. Die Untersuchung des Werks von Anett Frontzek nimmt Kurt Wettengl zum Anlass, zwischen Kartografie und Kartierung zu unterscheiden.4 Hierbei bezieht er sich auf das Handlungsrepertoire, das Steffen Siegel für das Mapping entwirft: »Messen, Zählen, Vergleich, Unterscheiden, Auswählen, Verallgemeinern, Zusammenfassen usw. - kartografische Medien inkorporieren ein differenziertes Spektrum von Kulturtechniken.

Emscherkunst. Anne Witt. 2013. Archiv EMSCHERKUNST.2013. TU Dortmund. Foto: Roland Baege. Mapping als Raumerkundung gehört zum methodischen Repertoire der Kunst.

Und mühelos ließen sich ergänzen: Schreiben, Korrespondieren, Projizieren, Zeichnen, Stechen, Revidieren, Sammeln, Drucken, Vermarkten.«5 Kurt Wettengl stellt einen weiteren Bezug zur Definition des Begriffs Mapping her, indem er die Aussagen Till Krauses von der Galerie für Landschaftskunst in Hamburg prüft. Till Krause stellt gültig fest: »Kartografie ist die Wissenschaft und die Technik von der Herstellung von Karten. Dagegen verwenden wir den Begriff der Kartierung […] eher so, wie das Wort Mapping im Alltagsenglisch gebraucht wird, nämlich losgelöst von der Assoziation des Kartenzeichnens. So meint er nicht bestimmte Darstellungs-, sondern Vorgehensweisen: räumlich und zeitlich ausgedehntes Erkunden, Beobachten und Sammeln.«6 »Mapping« vollzieht sich durch eine Nutzung, Umgestaltung und Konstruktion von kartografischen Bildern.7 Eine weitere methodische Perspektive auf das künstlerische Mapping entwirft Nanne Meyer.8 Diese Künstlerin erkundet nicht in erster Linie Orte und Landschaften; vielmehr verfremdet sie Karten als Material für künstlerische Prozesse und entwirft auf diese Weise subjektive Blickfelder auf die Zeichen in Karten. Poetische Kartografien entstehen durch zeichnerische Handlungen wie Übermalen, Überdecken, Ausschneiden, Kollagieren, Ergänzen, Freilassen, Kleben, Überblenden und Abstrahieren: Methoden der Aufzeichnung, die Fugen zwischen die Wahrnehmung und der Zeichnung als »Resonanzraum« des Wirklichen setzen.9

Mapping erscheint in diesen Projekten als ein künstlerisches Spiel mit Karten als Material. Insgesamt gesehen, öffnet sich im Vergleich der Projekte zur künstlerischen Kartografie eine Matrix, in der sich eine kartografische Handlung verorten lässt: Sie ist ein künstlerisches und interareales Methodenrepertoire zur Erkundung und Erfindung von erinnerten, vergessenen, verlorenen und sichtbaren wie poetischen Räumen, das sich in medialen Skripten niederschlägt und sich in einem intentionalen Kontext verwirklicht.10 Hierbei können Karten neu angelegt, erfunden oder verändert werden. Diese Räume werden geordnet und sogar bewertet: »Der Anfang aller Ordnung liegt im Raum: das Wort Aufräumen sagt alles. Innerhalb des Raums werden Unterräume gebildet. Schränke, Schubladen, Kisten, Mappen, Schnüre und Siegel bergen einen Inhalt.«11 Das Archiv des Umgangs mit dem Raum ist der Atlas in seinen unterschiedlichen medialen Erscheinungsformen, im Notizbuch12, in Zettelkästen (»Denn alles Wesentliche findet sich im Zettelkasten des Forschers, der´s verfaßte, und der Gelehrte, der darin studiert, assimiliert es in seiner eigenen Kartothek.«13) und in Schaukästen für die Wanderungen jener Menschen, die sich in ihren Fahrradtouren und Fußmärschen aufmachen, ihre Welt zu erkunden und dabei überrascht werden, wie groß die Räume zwischen ihrer Wahrnehmung, ihres Verlustes und ihrer Erinnerung sein können. Zu dieser Matrix gehört die Anstrengung, hinter die Kulissen der alltäglichen Wahrnehmung zu blicken, den Blick auf sie zu entgrenzen und zu entwöhnen.

Die Zielsetzungen solcher kartografischen Projekte weiter sich aber nochmals aus. In den Handlungskonzepten der Projekte »Frankfurt jetzt!« und »Frankfurt-Modell« untersuchen die beteiligten Personen ihren aktuellen Lebensraum, artikulieren ihre Erfahrungen und konfigurieren ein dreidimensionales Stadtmodell mit subjektiven Ansichten, bei dessen Verwirklichung ein im Modellbau erfahrener Künstler die beteiligten Personen unterstützt. Dass diese Projekte im Historischen Museum der Stadt Frankfurt verwirklicht werden, belegt die Verantwortung dieser Vorhaben im Sinne einer historischer Perspektive und als Prozess historischer Spurensicherungen. Das Projekt »This is Not an Atlas«, in dem weltweite Aktionen zum Umgang mit dem Mapping zusammengestellt sind, belegt einen umfassenden sozial- wie kulturpädagogischen und kulturkritischen Anspruch.14 Was in diesem Vorhaben als »Counter Mapping« bezeichnet wird, sind Projekte, die sich gegen den autoritären Anspruch von Karten wehren, die performative, subjektiv nutzbare Karten entwickeln und ihre Forschungsarbeit mit der Verbesserung von den jeweiligen Lebensqualitäten verbinden. Mapping erhält hier eine unübersehbare soziale Funktion. Es wird zur Bewältigung von Lebenssituationen eingesetzt. Hier hat die Methode einen sozialkritischen Pfeil und legt ihre Finger an die Wunden der Kultur. Kartierende Erkundungen führen immer zu einem Atlas15: zu einer Materialsammlung, in der sich die Dokumente des Mappings zusammenfügen und gegebenenfalls sogar öffentlich werden. Wie sich solche Zusammenstellungen von Materialien oder Medienverbundsysteme in ihrer Handhabung konfigurieren, untersucht inzwischen die Kunstwissenschaft am Beispiel von Konvoluten mit Landschaftsansichten des 19. Jahrhunderts: »Dazu müssen das Textheft, die Bilder und die gefalteten Karten geöffnet bzw. ausgelegt und ausgebreitet werden - am besten auf einem großen Tisch. Dann muss geblättert, aufgefaltet, ausgelegt, aufgelegt, hin- und hergeschaut, immer wieder nachgelesen und neu geblättert werden.«16 Der Umgang mit solchen Materialsammlungen ist ein »mediales Dispositiv aus Karte und Bildfolge«. Der Atlas selbst ist das Produkt des Mappings, der besondere Aufgaben hat. Er kann über Blickfelder auf Räume und Orte informieren, zu Wanderungen seiner Nutzer*innen anregen, sie begleiten oder weitere Erkundungen auslösen. Das Wechselverhältnis zwischen dem Mapping als Prozess der Erkundung und seiner Niederlegung in einem Atlas ist kennzeichnend für diese Methode und bezeichnet den Unterschied zwischen »site« und »nonsite«, der für die Arbeit von Robert Smithson kennzeichnend wurde und Displacement genannt wird17: Der amerikanische Künstler Robert Smithson erkundete und kartografierte 1968 das Gelände der Gutehoffnungshütte in Oberhausen (heute das Centro-Gelände) und zeigte seine Zeichnungen und Fotografien zusammen mit gesammeltem Bodenmaterial in der Galerie von Konrad Fischer in Düsseldorf. Dieses Wechselverhältnis bezeichnet die unterschiedlichen Aufgabe des »site« und...

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