Handbuch Mensch-Roboter-Kollaboration

Handbuch Mensch-Roboter-Kollaboration

 

 

 

von: Rainer Müller, Jörg Franke, Dominik Henrich, Bernd Kuhlenkötter, Annika Raatz, Alexander Verl

Carl Hanser Fachbuchverlag, 2019

ISBN: 9783446453760

Sprache: Deutsch

770 Seiten, Download: 141211 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Handbuch Mensch-Roboter-Kollaboration



1 Einführung in die industrielle Robotik mit Mensch-Roboter-Kooperation

Susanne Oberer-Treitz, Alexander Verl

1.1 Mensch-Roboter-Kooperation als Trend für die Zukunft der Robotik

In seinen Anfängen in den 1970er Jahren stand der Begriff Roboter für massige, hydraulisch betriebene Maschinen, die in Produktionsanlagen schwere Tätigkeiten verrichteten. Die schweren Maschinen konnten große Massen mit hoher Geschwindigkeit bewegen und hoben sich von Anfang an durch ihre universelle Einsetzbarkeit von den bis dahin bekannten Fertigungsmaschinen ab (Fryman, Matthias 2012). In den 1990er Jahren hatte sich der Industrieroboter in der Produktion als klassisches Arbeitsmittel verbreitet und obwohl für das Robotersystem aus damaliger Sicht viele seiner heutigen Einsatzgebiete und Anwendungen noch undenkbar waren, wurde seine Entwicklung schon damals als eine Revolution im industriellen Zeitalter gefeiert (Schraft 2003).

Der große Bewegungsraum des Robotersystems und seine für einen Menschen nicht einsehbaren Bewegungsabläufe der mechanischen Strukturen, die rein durch Steuerungssignale koordiniert wurden, ergaben allerdings trotz der hohen Arbeitserleichterung für den Werker ein enormes Gefährdungspotenzial. Dieses ging über die bekannten Gefahren der bis dahin üblichen Maschinenanlagen hinaus (Engelberger 1981). Gleichzeitig war es gerade dieses offensichtliche Gefährdungspotenzial, das zu einer einfachen Gestaltung einer Sicherheitslösung für die Roboteranwendung führte: Die Roboterzellen wurden mit einer Umhausung versehen und das gesamte Robotersystem durfte nur alleine hinter Schutzzäunen arbeiten. Mit so einfachen Mitteln konnte die direkte Gefährdung für den Menschen im Betrieb ausgeschaltet werden.

Seit dieser Zeit haben sich die Robotersysteme, ihr Anwendungsspektrum und die dabei eingesetzten Steuerungs- und Sicherheitstechnologien in allen Bereichen weiterentwickelt. Dabei kommt der Robotik der Einsatz elektro- und informationstechnischer Komponenten aus dem Computer- und Konsumgütermarkt zugute, der ein immer besseres Preis-Leistungs-Verhältnis ermöglicht (Hägele et al. 2008).

In den herkömmlichen Einsatzgebieten im Automobilbau, bei dem das Fahrzeug in Großserien als Massenprodukt hergestellt wird, ist der Industrieroboter seit vielen Jahren in großer Anzahl im Einsatz (Fersen 1986). Dabei ist die Automobilindustrie durch kapitalintensive Fabriken und eine qualitativ hochwertige Produktion gekennzeichnet und gilt deshalb seit jeher als Treiber der Automatisierung. Längst ist dabei der Industrieroboter selbst ein Serienprodukt und aus der Fertigung nicht mehr wegzudenken. Jedoch verursacht der Industrieroboter üblicherweise lediglich ein Viertel der Investitionen des kompletten Robotersystems, die für einen Fertigungsschritt in der Produktionsanlage umgesetzt werden müssen (Bolhouse, Daugherty 1999). Gerade diese zusätzlichen Investitionen für Zuführungen, Bereitstellungen und Greifwerkzeuge und die mangelnde Flexibilität der werkstückspezifischen Sonderanfertigungen sind dafür ausschlaggebend, dass der Industrieroboter nach wie vor meist nur in der Serienfertigung anzutreffen ist.

Anders sieht es in Produktionsprozessen aus, in denen die Fertigung durch Kleinserien oder sogar Einzelprodukte gekennzeichnet ist. Dort werden selbst technisch einfach automatisierbare Prozesse vielerorts noch manuell ausgeführt. Genauso gilt dies auch in komplexen Montageprozessen, in denen der Einsatz von Robotersystemen möglicherweise eine deutlich höhere Zuverlässigkeit bezüglich der Produktionsgüte erlaubt, diese allerdings nur durch zusätzliche Sensorik sowie Positionier- und Zuführtechnik erreicht werden kann (Jörg et al. 2000). Selbst wenn die Prozesse hierbei automatisiert umsetzbar sind, scheitern in vielen Fällen die industriellen Realisierungen an der Wirtschaftlichkeit der spezifischen Applikation. Mit dem herkömmlichen Industrieroboter alleine kann die Wirtschaftlichkeit aufgrund der zusätzlichen Peripherie- und Integrationskosten oft nicht erreicht werden. Dabei ist die Anzahl potenzieller Applikationen und einzelner Varianten für ein starres Automatisierungssystem oftmals nicht groß genug (Naumann, Fechter 2015).

Vermehrt werden Automatisierungslösungen benötigt, die anpassungsfähiger an verschiedene Applikationen sind. Sie sollen einen vielfältigeren Einsatz erlauben, ohne bei einer geringfügig geänderten Anwendung nach einer kompletten Neuentwicklung des Robotersystems zu verlangen. Die Mensch-Roboter-Kooperation, teilweise auch als Mensch-Roboter-Kollaboration bezeichnet, kurz MRK, eröffnet genau für diese Anforderungen neue Möglichkeiten, die Potenziale des Roboters zu nutzen, die Flexibilität des Menschen in der Prozesskette zu erhalten und Peripherie einzusparen (Krüger et al. 2009). Dabei sollen im kooperativen Betrieb der Mensch und das Robotersystem ihre jeweiligen Stärken optimal ausspielen und dadurch die Anwendungsmöglichkeiten der Industrieroboter auf ein vielfältigeres Einsatzspektrum als im vollständig autonomen Betrieb erweitert werden. Mithilfe geeigneter Wissensmodellierung und entsprechender Hardware lässt sich zusätzlich eine einfachere Rekonfigurierbarkeit von Robotersystemen erreichen, um auch erhöhten Anforderungen bei hoher Variantenvielfalt oder in Kleinserien gerecht zu werden (Verl und Naumann 2008). Stand anfangs in der Industrierobotik bei der Sicherheit die konsequente Trennung von Mensch und Roboter an oberster Stelle, werden für Robotersysteme mit notwendigen physischen Interaktionen mit dem Menschen neue Sicherheitsaspekte wichtig (Graham 1988).

Die aktuellen Zahlen des Robotermarktes zeigen, dass die Anzahl der verkauften Robotersysteme, neben dem Einsatz in der automobilen Serienfertigung, in neuen Märkten hohe Zuwächse verzeichnet, wie z. B. in der Elektronikindustrie oder der Metallbearbeitung, und damit im Jahr 2016 Höchstzahlen bei den verkauften Robotersystemen erreicht wurden (IFR 2017).

Diesen Trend haben auch die großen Roboterhersteller erkannt, die oftmals an der Entwicklung neuartiger Verfahren und Systemkomponenten beteiligt sind. So stellte Elan Ende der 1990er Jahre mit Reis Robotics die Gemeinschaftsentwicklung des ESALAN-Safety Controllers vor, der es erstmals ermöglichte, eine sicherheitsgerichtete Überwachung von Geschwindigkeiten und Positionen des Roboters umzusetzen. Damit war es möglich, die Gefährdungen seitens der Kinematik des Roboters softwareseitig einzugrenzen, indem eine sichere räumliche Begrenzung des Roboterbetriebes innerhalb seines Arbeitsbereiches umgesetzt werden konnte (Som 2000). Im Rahmen des BMBF-Projektes ASSISTOR – assistierende, interaktive und sicher im industriellen Umfeld agierende ortsflexible Roboter – wurde dazu eine entsprechende Referenzanwendung zum Handling von Getrieben an einem MRK-Arbeitsplatz umgesetzt (Bild 1.1). In dieser Anwendung wurden sichere nicht-trennende Schutzeinrichtungen mit der Sicherheitssteuerung des eingesetzten Roboters kombiniert und so die geltenden normativen Vorgaben zur Umsetzung der geforderten funktionalen Sicherheit für Robotersysteme erreicht (s. auch Kapitel 3 zur Einordnung von Schutzeinrichtungen für kollaborative Roboteranwendungen). Dazu realisierten die am Projekt Beteiligten unterschiedliche Arbeitsräume, um bei überwachter Position des Menschen autonomen und Handführbetrieb wechselseitig zu betreiben (Schraft, Meyer 2005).

Bild 1.1 MRK-System zur Getriebemontage im Rahmen des BMBF-Projektes ASSISTOR (Quelle: Fraunhofer IPA)

Inzwischen bieten viele Hersteller serienmäßig frei konfigurierbare Sicherheitssteuerungen an, mit denen unterschiedliche Arbeits- und Geschwindigkeitsbereiche in einer Applikation für den Bediener abgesichert werden können. So bieten z. B. ABB SafeMove 2 (ABB 2017), Comau RobotSAFE (Comau 2017a), Denso Safety Motion (Denso 2017), FANUC Dual Check Safety (Fanuc 2017a), KUKA.SafeOperation (KUKA 2017a), Stäubli CS9 (Stäubli 2017) oder Yaskawa Functional Safety Unit (Yaskawa 2017) unterschiedliche Funktionen zur sicherheitsgerichteten Überwachung von Achsen, Räumen und Geschwindigkeiten, mit denen sich MRK-Anwendungen für spezifische Prozesse realisieren lassen. Zusätzlich kamen in den letzten Jahren auch komplett neue Robotersysteme auf den Markt, die gezielt für den Einsatz als sicheres Robotersystem für die MRK in der Produktion gedacht sind. So präsentierte ABB 2011 auf der Hannover Messe erstmals das System YuMi®, einen zweiarmigen Leichtbauroboter, der für das Handling und die Montage von Kleinteilen (Traglast 500 g) in einer agilen Produktionsumgebung mit einem intrinsischen Sicherheitskonzept für die MRK ausgelegt ist. Hierbei ergibt sich die Sicherheitsauslegung nicht durch die Umsetzung einer sicheren Steuerungstechnik, sondern durch die Realisierung niedriger bewegter Massen (Kock et al. 2011).

Mit dem Begriff „Leichtbauroboter“ werden oftmals Robotersysteme beschrieben, die im Gegensatz zu herkömmlichen Robotersystemen ein stark verbessertes Verhältnis von Eigengewicht zu Traglast aufweisen. So erreicht z. B. der KUKA LBR iiwa mit Traglasten von 7 oder 14 kg durch seine Hülle aus Aluminium und in den Achsen integrierten Motoren ein Traglast-Gewicht-Verhältnis von bis zu 1:2. Zusammen mit einem strukturellen Design des Armes mit abgerundeten Kanten und durch Vermeidung von Klemm- und Scherstellen werden dadurch optimale Bedingungen für die sichere Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter geschaffen (KUKA 2017b).

Einen ähnlichen Ansatz verfolgen auch weitere Hersteller. Hierzu gehören...

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