Kulturelle Vielfalt richtig managen - Die neuen Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt
von: Karin Schreiner
Fischer & Gann, 2017
ISBN: 9783903072541
Sprache: Deutsch
300 Seiten, Download: 442 KB
Format: EPUB, auch als Online-Lesen
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Kulturelle Vielfalt richtig managen - Die neuen Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt
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KULTURELLE VIELFALT IST EINE TATSACHE
KULTURELLE VIELFALT IM ARBEITSLEBEN
WER HEUTZUTAGE BERUFSTÄTIG IST, begegnet fast unweigerlich Menschen aus anderen Ländern und Kulturen – unser Arbeitsalltag ist also ständig Schauplatz interkultureller Begegnungen. Wie leben wir diese kulturelle Vielfalt? Wird sie überall gleich bewertet und gleich genutzt? Zu welchen Situationen kommt es in den täglichen interkulturellen Begegnungen in Beruf und Arbeit? Diese und andere Fragen werden uns in diesem Buch beschäftigen.
Immer mehr Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Unternehmen stammen aus unterschiedlichen Ländern. Sie sind immigriert oder leben als Expatriates in Österreich, Deutschland oder in der Schweiz. Auch in Institutionen im Gesundheitsbereich und Bildungsbereich zeigt sich die kulturelle Vielfalt im Arbeitsalltag.
Welche Kulturen begegnen uns bei der Arbeit?
IN DER EUROPÄISCHEN UNION ERLEBEN WIR eine beständige Zuwanderung von Arbeitsmigranten aus EU-Ländern, aber auch aus anderen Staaten. In Deutschland ist zum Beispiel Polen das Hauptherkunftsland der Zuwanderer innerhalb der EU, gefolgt von Bürgern aus Rumänien und Bulgarien. Aus den Drittstaaten ist Syrien auf Grund der Flucht vor dem anhaltenden Krieg dort am stärksten vertreten, allerdings vor allem unter Geringverdienern.
In Österreich überwiegen Arbeitsmigranten aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien, die im Zuge des Abkommens mit der Türkei 1964 und der Flüchtlingsbewegung im Jugoslawien-Krieg 1989/90 aufgenommen wurden. Heute kommen Arbeitsmigranten vorwiegend aus anderen EU-Ländern, vor allem aus den Nachbarstaaten. Auch in Österreich machen Bürger aus Drittstaaten einen großen Anteil im niedrigqualifizierten Bereich aus, und generell sind Arbeitsmigranten in Österreich oft ungelernte Arbeitskräfte.
In der Schweiz leben heute so viele ausländische Erwerbstätige wie in keinem anderen europäischen Land. Sie stammen vor allem aus den Nachbarländern der Schweiz, zum Beispiel Italien, aber auch aus Portugal. Wegen der Flüchtlingsbewegung während des Jugoslawien-Kriegs stammt ein hoher Anteil auch aus Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Kroatien. Die Gruppe der Deutschen ist jedoch die größte unter den erwerbstätigen Ausländern.
Probleme am Arbeitsmarkt
BEI DEN ARBEITSMIGRANTEN IN ÖSTERREICH, Deutschland und der Schweiz handelt es sich um eine sehr heterogene Gruppe. Migrantinnen und Migranten aus Nord- und Westeuropa weisen eine hohe Erwerbsbeteiligung auf und sind eher im höherqualifizierten Bereich vertreten.
Die Arbeitsmigranten aus Südeuropa und Staatsangehörige aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei bilden in sich ebenfalls keine homogene Gruppe. Teilweise verfügen sie über eine sehr gute Ausbildung und sind gut am Arbeitsmarkt vertreten, andere sind weniger gut ausgebildet und verstärkt im Einzelhandel und im sogenannten Ethnic Business, also im ethnischen Unternehmertum – Unternehmen, die von Migranten bzw. Menschen mit Migrationshintergrund selbst geführt werden –, vertreten. Für viele Migranten und Migrantinnen aus Drittstaaten ist der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert. Gerade sie sind verstärkt kultureller Diskriminierung ausgesetzt. Darüber hinaus werden häufig Ausbildungsabschlüsse nicht anerkannt, und langwierige Anerkennungsverfahren erschweren die Lage der Betroffenen.
Die zunehmende sprachliche und religiöse Vielfalt wird heute oft als Problem gesehen. Das gilt vor allem für Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, weniger für Unternehmen, weil die gegebene Sprachenvielfalt durch die Arbeitsmigranten auch ein hohes wirtschaftliches Potenzial in sich trägt, und das wird in der Wirtschaft durchaus gesehen. Die Bildungs- und Gesundheitssysteme stehen vor großen Herausforderungen, mit der kulturellen Vielfalt umzugehen, und tiefgreifende strukturelle Veränderungen sind nötig, um diese Vielfalt richtig zu nutzen.
WIE GEHEN WIR IM ARBEITSALLTAG MIT VIELFALT UM?
HÄUFIG BERICHTEN BETROFFENE in sehr international besetzten Unternehmen, dass die nationale Herkunft der Arbeitnehmer im Arbeitsalltag eigentlich keine große Rolle spielt. Je kulturell gemischter eine Abteilung oder ein Team ist, desto eher ist kulturelle Vielfalt »normal«. Kulturelle Unterschiede treten dann schon deshalb in den Hintergrund, weil Menschen, die über einen längeren Zeitraum in einer internationalen Umgebung arbeiten, sich verändern. Sie entwickeln Verhaltensweisen, die »international« sind: Sie sind respektvoll, empathisch im Blick auf kulturelle Unterschiede, sprachlich einfühlsam, sprechen fließend Englisch und oft noch andere Sprachen; sie sind außerdem flexibel und umgänglich, anpassungsbereit und weltoffen.
Dies bestätigt auch die jüngste interkulturelle Forschung in diesem Zusammenhang: Man fand heraus, dass bei Personen, die in einem internationalen Umfeld arbeiten, die kulturelle Herkunft zwar prägend ist, es aber immer von der jeweiligen Person abhängt, wie stark diese in ihrer Herkunftskultur verankert ist. Je mehr internationale Erfahrungen eine Person hat, desto eher ist sie geneigt, sich kulturell unterschiedliche Verhaltensweisen anzueignen und sie anzuwenden.1
In diesem Umfeld entwickelt sich also eine neue Kultur, eine Art Synergie, das heißt, das Zusammenwirken von Personen unterschiedlicher kultureller Herkunft führt zu einer Leistungssteigerung. In diesem Prozess handeln die beteiligten Personen miteinander neue Umgangsformen aus.2 Dabei wird ein sogenannter Ethnorelativismus gelebt. Das bedeutet, die eigene kulturelle Herkunft wird nicht als Mittelpunkt der Welt betrachtet, sondern als ein kultureller Bereich unter vielen anderen. Die eigenen Werte sind damit nicht mehr der Maßstab für alles. Dazu erzählte ein Human Ressource Manager einer großen österreichischen Bank, die in Osteuropa sehr aktiv ist:
In der internationalen Abteilung haben wir Mitarbeiter aus über vierzig Nationen. Die Arbeitssprache ist Englisch. Der Umgang miteinander respektvoll und empathisch. Die internationalen Mitarbeiter passen sich an österreichische Gepflogenheit an, die Österreicher genießen den Umgang mit Kollegen aus der ganzen Welt. Es ist ein gutes Miteinander. Ich würde sagen, es entsteht fast eine eigene Kultur, die sehr international ist. Am Ende ist es egal, wer woher kommt.
Eine solche Situation hat Vorbildcharakter. Auch der Leiter einer großen Abteilung bei der ÖBB (den österreichischen Bundesbahnen) setzt sich seit Jahren für Vielfalt in seinem Arbeitsumfeld ein. Er erzählte im Gespräch:
Die ÖBB war traditionell eine männerdominierte Welt. Frauen waren in den klassischen Eisenbahnerberufen fast nicht vertreten. Ich war damals noch in der Spedition und machte die ersten Schritte. Ich startete meine Abteilung mit drei Frauen und es lief ausgezeichnet. Ich bin drauf gekommen, dass ich mit Frauen sehr gern zusammenarbeite – sie sind direkter und unmittelbarer, man weiß, woran man ist. In der Zwischenzeit ist der Frauenanteil bei der ÖBB erheblich erhöht worden. In meinen fünf Abteilungen ist der Frauenanteil bei 62 Prozent und darauf bin ich stolz! Auf internationaler Ebene hat sich ebenfalls viel getan. Seit 2011 werden die Auslandsbeteiligungen zentral gesteuert und ich habe die fachliche Führung der Auslandsmitarbeiter in meiner Unit. Daher bin ich an interkultureller Weiterbildung für alle sehr interessiert und setze das auch um.
Offenheit wird besonders gut möglich in einem internationalen Umfeld, in dem große kulturelle Durchmischung vorherrscht, denn diese macht es den Beteiligten leicht, Vielfalt als positive Ressource zu erleben und zu nutzen. Die Mobilität in Europa nimmt zu, wird aber auch kontrovers diskutiert (man nehme nur die »Brexit«-Diskussion im Juni 2016, aber auch die Forderungen bestimmter EU-Mitgliedsländer, die Arbeitsmobilität in einigen Branchen einzuschränken).
Wenn Personen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten so zusammenarbeiten, dass das Ergebnis sowohl anders als auch besser ist, als würde man die Arbeit dieser Personen einfach addieren oder mischen, dann entsteht interkulturelle Synergie. Dabei streben Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen nach einem gemeinsamen Ziel. Das beschreibt auch der Leiter einer Unit bei der ÖBB:
Der Arbeitsalltag ist bei uns so, dass die Unternehmenskultur ganz klar der Maßstab für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist. Aber die Unternehmenskultur hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Durch die kulturelle Vermischung ist ein neues Ganzes entstanden. Man nimmt mehr aufeinander Rücksicht. Vieles ist selbstverständlich geworden und wird nicht mehr eigens thematisiert.
Wenn verschiedene nationale Gruppen aufeinandertreffen
ANDERS IST ES, WENN SICH EINE ABTEILUNG aus zwei oder drei größeren nationalen Gruppen zusammensetzt. Dann kann es sein, dass sich die Gruppen voneinander...