Kanban - Verstehen, einführen, anwenden

Kanban - Verstehen, einführen, anwenden

 

 

 

von: Mike Burrows

dpunkt, 2015

ISBN: 9783864918063

Sprache: Deutsch

272 Seiten, Download: 4548 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Kanban - Verstehen, einführen, anwenden



1 Transparenz


Wir befinden uns ein paar Stockwerke weiter oben in unserem schönen, neuen Büro, von dem man die Nyugati-Haltestelle in Budapest überblicken kann. Es ist kurz nach 9:30 Uhr und unser Standup-Meeting läuft gerade. Unsere Stimmung ist ein wenig vergnügter als sonst, denn wir freuen uns auf Kaffee und Kuchen auf der anderen Straßenseite. Dort werden wir feiern, dass wir wieder etwas Neues gelernt haben. Die Rechnung geht dieses Mal auf mich – ich habe es am Tag zuvor geschafft, den Build über mehrere Stunden in einem schlimmen Zustand zu hinterlassen, und der Entwicklungsleiter sollte das eigentlich nicht tun.

Allerdings haben wir noch ein paar wichtige Dinge, um die wir uns kümmern müssen. Tibor und Maté drücken ihre Sorge über ein Ticket (eine gelbe Haftnotiz) aus, das seit Tagen in der »Released«-Spalte auf dem Whiteboard des Teams feststeckt. Gy bietet kurzerhand seine Hilfe an: Er ist sich recht sicher, dass er das Betriebsteam überzeugen kann, dass die neue Preiskurve, die durch das feststeckende Ticket repräsentiert wird, zuverlässiger ist als die alte; wir sollten damit rechnen, dass sie in ein bis zwei Tagen voll in der Produktion implementiert ist. Gys Angebot wird dankbar akzeptiert und wir nehmen uns das nächste Ticket vor.

Diese wenigen Momente reichen aus, um einige Beispiele für Kanbans ersten Wert zu demonstrieren, Transparenz:

  • Unsere Arbeit ist für alle sichtbar auf einem großen Whiteboard dargestellt. Auf dem Board sind Tickets, die Arbeitspakete repräsentieren, in Spalten organisiert; die Spalten korrespondieren zu Status, in denen sich Arbeitspakete befinden können, oder zu Schritten unseres Workflows.

  • Wir verstehen die Wichtigkeit von regelmäßigen Feedbacks und wir halten ein Standup-Meeting ab.

  • Wir haben einige der Regeln, die für unsere Arbeit gelten, herauskristallisiert; viele von ihnen sind in der Nähe des Boards aufgelistet. Eine dieser Regeln besagt, dass Entwickler die Verantwortung für ihre Arbeitspakete behalten, bis sie eine Kundenbestätigung bekommen haben, dass dieses Paket auch den gewollten Wert erzielt. Eine andere Regel schreibt vor, dass Lernen mithilfe von Kuchen verstärkt werden sollte – im ganz speziellen Fall die Ich-werde-diesen-Fehler-nie-wieder-machen-Art des Lernens.

Dieses Szenario spielte sich 2009-2010 ab, gerade als David Anderson Feedback zu den kürzlich formulierten Grundprinzipien und Kernpraktiken der Kanban-Methode einholte. Wir – Menschen wie ich, die die Ideen bereits anwendeten – diskutierten und verfeinerten sie über unsere Gruppenmailingliste. Innerhalb weniger Wochen gingen sie mit Davids »blauem Buch« [Anderson 2010] in den Druck. Wir hatten eine dokumentierte Methode!

Transparenz ist ein zentraler Aspekt von Kanban. Drei der sechs Kernpraktiken stehen damit in Verbindung:

KP1: Visualisiere.

KP4: Mache Prozessregeln explizit.

KP5: Implementiere Feedbackzyklen.

Sehen wir sie uns nacheinander an.

1.1 Kernpraktik 1: Visualisiere


Kanbans Ein-Wort-Praktik »Visualisiere« erscheint erst einmal sehr unspezifisch. Allerdings besitzen die meisten Kanban-Implementierungen eine bestimmte Art der Visualisierung, ein Kanban-Board. Diese Boards werden verwendet, um Kanban-Systeme zu implementieren. Das sind visuelle Arbeitsmanagementsysteme, die einige nützliche Eigenschaften haben. Wir werden diese Eigenschaften in den nachfolgenden Kapiteln genauer betrachten, für den Moment konzentrieren wir uns auf die visuellen Aspekte.

Hätten wir ein elektronisches Werkzeug verwendet, hätte unser Board vielleicht so wie in Abbildung 1–1 ausgesehen.

Abb. 1–1 Ein elektronisches Board

Statt Haftnotizen auf einem Whiteboard haben wir nun Icons, die wir über den Bildschirm ziehen können. Egal ob elektronisch oder physisch, diese werden als kanban bezeichnet, ein japanisches Wort, das als »visuelles Zeichen« oder auch »Platzhalter« übersetzt werden kann. Wir bevorzugen die etwas umgänglicheren Begriffe Karte (oder Ticket – ich verwende die beiden synonym) und Arbeitspaket. Denken wir an das visuelle Design, tendieren wir zum ersten Begriff. Wir verwenden eher den zweiten, wenn der Fokus darauf liegt, was sie repräsentieren.

In diesem Buch repräsentieren Arbeitspakete festgelegte Teilstücke von Wissensarbeit: Dinge wie Produkteigenschaften, die entwickelt werden müssen, oder Serviceanfragen, die zu erfüllen sind. Diese Dinge müssen keine Verbindung zu Software haben – es gibt Beispiele aus Rechtsabteilungen, Personalabteilungen, dem Vertrieb und dem Büro des Geschäftsführers. Sie haben typischerweise gemeinsam, dass ein großer Teil der Arbeit in den Köpfen von Menschen oder auf ihren Computern erfolgt. Ohne das Board wäre diese Arbeit unsichtbar.

Es hört sich vielleicht trivial an, aber es ist wichtig, dass diese Tickets beweglich sind. Man bewegt die Tickets von Spalte zu Spalte, während die Arbeit am dahinterliegenden Arbeitspaket voranschreitet. Das bedeutet, dass man mit einem Blick sehen kann, wie viel Arbeit sich in welchem Zustand der Fertigstellung befindet. Schaffen Sie das mal mit einer To-do-Liste!

Wenn das Board groß genug und das Ticketdesign deutlich genug ist, kann man von der anderen Seite des Raums erkennen:

  • Welche Arbeit gerade blockiert ist (wartet auf etwas)

  • Wer woran arbeitet

  • Welche unterschiedlichen Arten von Arbeit existieren und in welcher Verteilung

  • Wie viel Arbeit sich in welchem Grad der Fertigstellung befindet

Haben wir all diese Informationen ständig verfügbar, bekommen wir recht schnell ein Gefühl dafür, wie ein gesunder Zustand aussieht. Wenn man sich darauf einmal eingerichtet hat, lässt einen das Board sofort wissen, wenn Dinge von der Norm abgewichen sind und eine Untersuchung des Zustands oder korrigierende Maßnahmen notwendig sind.

1.1.1 Visualisierung und Veränderung

Die Visualisierung und andere Formen der Transparenz haben in Kanban einen doppelten Sinn: Zum einen soll die Notwendigkeit von Aktivität sichtbar gemacht werden und zum anderen soll den Menschen geholfen werden, gute Entscheidungen zu treffen. Beides funktioniert auf zwei Ebenen:

  • Aktivität in Form von Arbeit, die getan werden muss; gute Entscheidungen bei der Auswahl der Arbeitspakete

  • Aktivität in Form von Veränderung des Systems; gute Entscheidungen in der Rechtfertigung, im Umfang und in der Implementierung der Veränderung

Wie reagieren Sie, wenn das Board anzeigt, dass nicht alles so ist, wie es sein sollte? Hier sind einige übliche Antworten, die ein Manager oder Coach geben könnte:

  1. Egal, es wird sich schon alles selbst regeln, wie es das normalerweise auch immer tut.

  2. Ich werde durch ein straffes Management eingreifen, bis die Situation vorüber ist.

  3. Ich werde durch eine Veränderung des Systems eingreifen.

  4. Verstehen sie, wie die Dinge so gekommen sind? Wollen sie das System entsprechend verändern? Wie sollte ich ihnen helfen?

  5. Ich respektiere ihre Fähigkeiten, angemessene Änderungen in dieser Situation durchzuführen.

Jede dieser Verhaltensweisen hat ihre Berechtigung, allerdings scheinen einige eine höhere Reife widerzuspiegeln als andere. Durch das Auslösen von Aktionen und das Unterstützen guter Entscheidungen führt Kanban die Menschen zu reiferem Verhalten wie in Punkt 4 oder 5. Organisationen, die diese Verhaltensweisen bewusst akzeptieren und die Führungsstile fördern, die solches Verhalten unterstützen, sind auf einem guten Weg zu höherer Reife.

Verhalten 5 (und zu einem geringeren Anteil Verhalten 4) enthält ein weiteres, sehr interessantes Element, die Selbstorganisation.

Selbstorganisation ist eine wunderbare Sache. Sie bedeutet nicht nur, dass Individuen autonom handeln können – obwohl das essenziell für ihr Wohlergehen ist. Selbstorganisation bedeutet auch, dass das System sich selbst neu organisieren und einstellen kann, um effektiver mit seinen Herausforderungen umgehen zu können. Selbstorganisation bringt in ihrer vollen Bedeutung Anpassungsfähigkeit und Resilienz. Da Selbstorganisation ohne Intervention von außen passieren kann, skaliert sie sehr gut. Sowohl für den Systembetrieb als auch für die Systemveränderung ist Selbstorganisation sowohl effektiv als auch menschenfreundlich.

Ein System zu verändern, das visuell gemanagt wird, sollte eine kostengünstige und schnelle Sache sein. Einfach eine Linie oder zwei auf dem Whiteboard ausradieren, eine weitere zeichnen und ein paar Klebezettel umherschieben (oder ein paar Klicks mit der Maus). Die Auswirkung dieser Änderungen kann sehr groß sein. Verglichen mit dem recht kleinen Implementierungsaufwand ist dieses Arbeiten am System eine Aktivität mit...

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