Mehr! - Philosophie des Geldes

Mehr! - Philosophie des Geldes

 

 

 

von: Christoph Türcke

Verlag C.H.Beck, 2015

ISBN: 9783406674587

Sprache: Deutsch

481 Seiten, Download: 2994 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Mehr! - Philosophie des Geldes



Einleitung: Fassaden des Geldes


Wenn Herr und Hund gemeinsam alt werden, so geschieht es nicht selten, daß sie einander immer ähnlicher werden: im Gang, in der Art, zu sitzen oder Nahrung aufzunehmen, womöglich gar im Gesichtsausdruck. Nicht zu reden von Ehepaaren. Sie bilden im Laufe der Jahre oft ein ganzes Repertoire gemeinsamer Haltungen, Bewegungen und Redensarten aus; manche entwickeln sogar gemeinsame Krankheiten. Nicht immer aus wachsender Zuneigung. Auch unablässiger Alltagszank kann Paare unzertrennlich machen.

Treuer noch als der treueste Lebensgefährte begleitet moderne Menschen das Geld. Es ist ihnen schlechterdings unentbehrlich. Ständig müssen sie achtgeben, daß sie genug davon haben und vorteilhaft damit umgehen. Die moderne Gesellschaft ist eine große Symbiose von Mensch und Geld. Gewiß keine symmetrische. Dem Geld ist völlig egal, wer es besitzt und ausgibt; den Menschen nicht. Sie hängen am Geld, wirtschaftlich und emotional. Das Geld hingegen hat weder Emotionen noch Wirtschaftsabsichten. Und doch hängt es auch seinerseits an den Menschen – kaum weniger als der Schatten am Licht. Würde die Menschheit durch flächendeckenden Einsatz der Neutronenbombe vertilgt, so wäre auch ihr Geld kein Geld mehr, bloß noch Metall, Papier oder Zahlengeflimmer auf Bildschirmen. Denn Geld ist keineswegs von Natur aus da wie Luft, Wasser, Steine, Pflanzen und Tiere. Erst Menschen haben bestimmte Naturstoffe zu Geld gemacht. Das Geld bedarf also des Menschen, um Geld zu sein. Und umgekehrt? Bedarf auch der Mensch des Geldes, um Mensch zu sein? Nun, er braucht zweifellos Geld, um in der bestehenden Gesellschaft zu überleben. Aber macht es ihn nicht eher zum Unmenschen als zum Menschen? Und ist die Gesellschaft nicht längst reich und produktiv genug, daß jeder nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen leben kann, ohne das zermürbende Trachten nach Geld noch länger fortsetzen zu müssen?

Solche Fragen stellen nicht nur Marxisten, sondern gelegentlich auch Banker, zumal in Zeiten wie dem Jahr 2008, als das Investmenthaus Lehman Brothers zusammenbrach und eine globale Finanzkrise ihren Anfang nahm. Da waren die psychotherapeutischen Behandlungszimmer New Yorks voll mit Leuten, die sich jahrelang sechzig bis siebzig Stunden die Woche um nichts als die Vermehrung eigenen und fremden Geldes gekümmert hatten, nun von Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht waren und sich fragten: Was habe ich eigentlich die ganzen Jahre getan? Was für einen Sinn hat die Jagd nach Geld? «Manche Patienten fühlen sich von den Ereignissen in der Finanzbranche erschüttert, auch wenn sie nicht direkt betroffen sind. ‹Eine Patientin war völlig traumatisiert, als sie am Tag der Insolvenz von Lehman Brothers an der Zentrale vorbeiging und die Mitarbeiter sah, die ihre persönlichen Sachen in Kartons rausgetragen haben. Sie meinte, der Anblick sei ihr so schlimm vorgekommen wie die Terroranschläge am 11. September.›»[1] Als sich die Banken wieder fingen und die Boni wieder flossen, ließ die Erschütterung ebenso nach wie der Therapiebedarf und die Dringlichkeit dieser Fragen. Aber in der nächsten Krise werden sie sich mit neuer Schärfe in alter Grundsätzlichkeit stellen. Sie haben ja nicht aufgehört zu bohren. Das Alltagsgeschäft hat sie lediglich übertönt. Krisen werfen Grundsatzfragen auf. Sie haben philosophisches Potential.

Moderne Finanzkrisen entstehen dadurch, daß der Geldumlauf stockt. Geld ist reichlich da, aber man kommt an es nicht heran. In der Frühzeit der Münzprägung war es genau umgekehrt. Dadurch, daß Münzen in Umlauf kamen, entstand eine Krise. In der Mitte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts war sie bereits spürbar. Keine zwei Jahrhunderte war es her, daß Münzen begonnen hatten, sich von Kleinasien aus im antiken Griechenland auszubreiten; in der ganzen übrigen Welt waren sie noch unbekannt. Da läßt der athenische Tragödiendichter Sophokles einen seiner Protagonisten, den Tyrannen Kreon, sagen: «Denn nichts, was Geltung bei den Menschen hat, ersproß/so wie das Geld verderblich. Dies vernichtet selbst/ja Städte; dies treibt Männer weg von Haus und Hof;/dies unterweiset und verkehrt der Sterblichen/gerechte Sinne schnödem Werke nachzugehn;/zeigt’ alle Wege böser List den Menschen an,/und lehrte sie jedweder That Ruchlosigkeit.»[2] Es klingt wie eine direkte Fortsetzung und Ausgestaltung dieser Klage, was William Shakespeare zwei Jahrtausende später, unter dem Eindruck der englischen Verhältnisse um 1600, einem Adligen des alten Athen namens Timon in den Mund legt: «Gold? Kostbar, flimmernd, rotes [yellow] Gold?» «So viel hievon, macht schwarz weiß, häßlich schön;/Schlecht gut, alt jung, feig tapfer, niedrig edel.» «Ja dieser rote [yellow] Sklave löst und bindet/Geweihte Bande [Will knit and break religions]; segnet den Verfluchten;/Er macht den Aussatz lieblich; ehrt den Dieb,/Und gibt ihm Rang, gebeugtes Knie und Einfluß/Im Rat der Senatoren; dieser führt/Der überjähr’gen Witwe Freier zu […] Verdammt Metall,/Gemeine Hure du der Menschen […] sichtbare Gottheit,/Die du Unmöglichkeiten eng verbrüderst,/Zum Kuß sie zwingst! Du sprichst in jeder Sprache,/Zu jedem Zweck! o du, der Herzen Prüfstein!»[3]

Shakespeares Timon ist natürlich kein echter Athener, sondern ein ins alte Athen zurückversetzter englischer Lord. Er sieht die verkehrende Macht der Münze nicht bloß, wie Sophokles’ Kreon, als unheimlichen Eindringling von außen kommen. Er ist vielmehr selbst tief in sie verstrickt, von ihr gleichermaßen abgestoßen wie angezogen, und wird an ihr buchstäblich irre. Das entspricht der veränderten historischen Situation. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war geprägtes Metall längst keine Neuigkeit mehr, sondern fester Bestandteil des über ganz Europa ausgebreiteten Handelsnetzes. Dennoch war es gleichsam auf dem Sprung in Neuland. Es stand im Begriff, sich neue Kontinente, aber auch neue soziale Sphären zu erschließen und tendenziell alle Mitglieder des Gemeinwesens in seinen Umlauf zu verwickeln. Mit andern Worten: Geld war auf dem besten Wege, ein umfassendes soziales System zu konstituieren. England war führend in dieser Entwicklung. Hier waren mehr als irgend sonst in Europa neben den gewöhnlichen Konsumgütern auch Grund und Boden, Arbeitskräfte, Werkzeuge, Waffen käuflich geworden. Hier häuften sich besonders viele Indizien für den Verdacht, daß für Geld so gut wie alles in der Welt zu haben sei. Daher Shakespeares gegensätzliche Attribute fürs Geld. Es ist Sklave und Hure, weil allen Zwecken dienlich und gefügig, und sichtbare Gottheit, weil alle, denen es dient, wiederum ihm dienen. Zudem bringt es zwei Kunststücke fertig, die die Theologie allein dem christlichen Gott vorbehalten hatte: den Ineinanderfall der Gegensätze[4] und das Sprechen in jeder Sprache – das Pfingstwunder.

Sophokles und Shakespeare stehen an Knotenpunkten der Geldgeschichte, der eine am Beginn des Münzumlaufs, der andere am Beginn des modernen Geldsystems, des Kapitalismus. Ihre Statements verhalten sich zueinander wie Exposé und Ausführung. Der Zeitunterschied von zweitausend Jahren fällt auf den ersten Blick kaum auf. Beide Autoren laborieren an einer ähnlichen Erfahrung. Sie haben selbst miterlebt, wie Geld in nicht-monetäre Räume eindringt, und sind, jeder auf seine Weise, fassungslos, mit welcher Macht es sie umkrempelt. Man hat doch bloß kleine Silber- oder Goldscheiben mit Zeichen versehen und in Umlauf gebracht, und schon wächst ihnen eine ungeheure Anziehungs- und Umwendungskraft zu. Woher diese Kraft? Das wissen sie nicht. Aber ihre Wirkungen benennen sie mit atemberaubender Präzision.

Beiden war die Anziehungs- und Umwendungskraft der Münzen unheimlich. Unheimlich aber ist, wie Sigmund Freud gezeigt hat,[5] alles, was deshalb so beängstigend fremd daherkommt, weil es in bestimmter Hinsicht allzu vertraut ist. Es kommt unversehens von außen, aber es rührt dabei innere Wunschregungen auf, die, wenn sie hochkommen, ein mühsam errungenes seelisches Gleichgewicht gefährden. Unheimliches macht Angst – und fasziniert. Das taten offenbar auch die Münzen. Auch sie kamen gewissermaßen von außen: als Silber- und Goldstücke, die schon von Natur aus eine besondere Ausstrahlung haben. Aber sie reflektierten auch innere Regungen. Ihr edles Metall war ja nicht naturbelassen, sondern in Scheibchenform hübsch handlich zurechtgemacht, und vor allem, es war geprägt – durch gewisse ihm eingedrückte Zeichen mit der Potenz belehnt, alle möglichen Gebrauchsgüter sowohl zu repräsentieren wie zu erwerben. In kürzester Zeit hat die Münzprägung eine prägende Wirkung auf diejenigen ausgeübt, die mit Münzen umgingen.[6] Ein tiefsitzender Drang nach der Münzpotenz wurde in ihnen wach. Er mußte nicht erst gelernt werden. Er brach aus wie eine Krankheit, zu der die Neigung längst da war. Neigungen können lange brachliegen, ja über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg vor sich hinglimmen, solange der spezifische Reiz ausbleibt, der aus ihnen brennende Wünsche macht. Kommt aber der Reiz und bricht der Wunsch aus,...

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