Lehrbuch der Personalpsychologie

Lehrbuch der Personalpsychologie

 

 

 

von: Heinz Schuler, Uwe P. Kanning

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783840923630

Sprache: Deutsch

901 Seiten, Download: 28145 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Typ: A (einfacher Zugriff)

 

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Lehrbuch der Personalpsychologie



Trotz eines gewissen Hangs zum Standesegoismus sollten wir im Interesse von Organisationen und Bewerbern nicht hoffen, dass die einfachen, nicht zu Podiumsdiskussionen eingeladenen Personalberater ebenso wenig von ihrem Metier verstehen wie dieser Repräsentant seines Fachs. Das große Interesse, das eignungsdiagnostischen Publikationen sowie wissenschaftlich fundierten Testverfahren seit einigen Jahren entgegengebracht wird (z. B. Hossiep & Mühlhaus, 2005; Kanning & Holling, 2002; Kleinmann, 2013; Krumm & Schmidt-Atzert, 2009; v. Rosenstiel & Lang-von Wins, 2000; Sarges, 2013; Schuler, 2014), lässt erwarten, dass sich die Verhältnisse bessern.

Der zweite zu diskutierende Unterschied zwischen der Personalpsychologie und anderen Teilbereichen der Organisationspsychologie ist die vordringende naturwissenschaftliche Orientierung in der Personalpsychologie. Sie hängt mit den differenzialpsychologischen Grundlagen und der dafür typischen methodisch-statistischen Ausrichtung zusammen. Aber naturwissenschaftliche Orientierung heißt weit mehr als die Verwendung statistischer Methoden (vgl. Lubinski, 2000). In erster Linie heißt es, Einfälle und Spekulationen zwar als wichtigen Schritt in der Erkenntnisbildung anzusehen, ihnen aber nur den Charakter von Hypothesen zuzubilligen, die der strikten, kontrollierbaren, möglichst emotionslosen und ideologiefreien Prüfung bedürfen (Wilson, 2000). Ein Teil unseres Wissensbestands besteht tatsächlich nur aus Vermutungen, die im besseren Fall die Form handlungsleitender Heuristiken haben (z.B. einige Führungsund Organisationstheorien). Wenn wir darauf verzichten, dieses Wissen in prüfbare Form zu bringen, Methoden zu seiner Prüfung zu entwickeln und darauf anzuwenden, dann werden wir zu Weiterentwicklungen unserer Annahmen nur dort kommen, wo außerwissenschaftliche – z. B. gesellschaftspolitische – Überzeugungen und Interessen uns die Feder führen und uns als Fortschritt vorgaukeln, was nur die Änderung einer Glaubenshaltung widerspiegelt. Auch wenn endgültige Sicherheit nicht erreichbar ist, ist Skepsis gegenüber allen Weisheiten geboten und sind erkenntniskritischere Prüfmethoden weniger strikten Prüfungen vorzuziehen.

Wie an anderer Stelle gründlicher ausgeführt (Schuler, 1999), besteht eine essenzielle Gefahr für unsere Wissenschaft in der Versuchung, das Wünschenswerte nicht ausreichend vom Faktischen zu unterscheiden. Dieser Fehler wird begünstigt durch die Kombination geisteswissenschaftlicher Orientierung mit ausgeprägter Anwendungsnachfrage. Beides führt zur Selektion weltanschaulich willkommener Interpretationen, scheint rigoroses Prüfen von Hypothesen entbehrlich zu machen und verhindert damit die für jede Wissenschaft konstitutive Wissensakkumulation. Nun wird natürlich auch das Gebiet der Personalpsychologie keineswegs von einem einheitlichen methodologischen Prinzip geleitet. So wird der aufmerksame Leser auch in diesem Band Darstellungen finden, die sich nicht am naturwissenschaftlichen Modell orientieren, sondern eher geisteswissenschaftlichhermeneutisch ausgerichtet sind. Hierzu gehören etwa Teilbereiche der Themen Führung und Kommunikation. Namentlich jene Führungstheorien, die der Managementliteratur entstammen, stellen häufig Theorieansätze dar, die teilweise eher als rhetorische Initiativen zur Förderung erwünschter Werthaltungen anmuten denn als empirische Sätze, die sich der strikten Prüfung und Falsifikation aussetzen. Auf diese Weise entsteht manche überkohärente Quasitheorie, die mit hohem Überzeugungsanspruch auftritt, viel Plausibilität für sich in Anspruch nehmen kann (ist doch der Zeitgeist gewissermaßen eingeflochten), für die aber, am naturwissenschaftlichen Modell gemessen, keine wirklichen empirischen Belege aufweisbar sind, ja die eventuell gar nicht im strikten Sinne prüfbar formuliert ist.

Macht man sich die Mühe, die erste Auflage dieses Lehrbuchs mit der jetzt vorliegenden dritten Auflage zu vergleichen, wird man feststellen, dass auch in diesen Themenbereichen die empirische Orientierung erheblich an Terrain gewonnen hat. Vorreiter dieser Entwicklung in der Personalpsychologie ist die Berufseignungsdiagnostik, deren Fortschritte in den letzten Jahrzehnten der Orientierung am naturwissenschaftlichen Prüfmodell – das heißt im Wesentlichen an den Prinzipien der Psychometrie – zu verdanken ist. Diese Denkhaltung schafft auch den wichtigsten Vorteil, den psychologisch Ausgebildete gegenüber anderen Personalleuten mitbringen. Demgegenüber haben die vermeintlichen Innovationen, die auf dem Gebiet der Eignungsdiagnostik aus der Personalpraxis kommen, allenfalls den Charakter von Trends, nicht aber von Fortschritten; dies wird am Assessment Center besonders deutlich, das sich zur bevorzugten Spielwiese der Laiendiagnostik entwickelt hat. Hier werden immer wieder Fortschritte ausgerufen, die sich allenfalls in der Verkäuflichkeit des Verfahrens niederschlagen mögen, nicht aber in messbarem methodischen Gewinn.

Natürlich hat nicht alles, was in der Personalpsychologie gearbeitet und in diesem Text dargestellt wird, innovativen Charakter. Dank der ausgeprägten Forschungsorientierung dieser Disziplin ist aber der Anteil weiterführender Ideen und Verfahrensweisen größer als in manch anderem Bereich. Ein Beispiel für eine besonders fruchtbare Innovation ist die Entwicklung metaanalytischer Methoden. In der Personalpsychologie stellt die Validitätsgeneralisierung (Hunter & Schmidt, 2004) nicht nur per se einen Fortschritt dar, sondern sie ermöglicht auch weitere Fortschritte, z. B. in der Entwicklung von Leistungstheorien oder von berufsbezogenen Persönlichkeitstheorien. Ihr unmittelbarer Vorzug ist, dass sie einen großen Beitrag zur Forschungsökonomie in Form der rationalen Verwertung vorliegender Studien leistet, dass sie zu angemesseneren Schätzungen der Stärke von Zusammenhängen führt und die Frage nach der Generalisierbarkeit errechneter Beziehungsstärken beantwortet. Hunderte von Untersuchungen, die in den letzten Jahren mit Hilfe dieser Methodik durchgeführt wurden – zunächst in der Eignungsdiagnostik, dann in vielen weiteren Bereichen –, haben den Wissensstand in der Personalpsychologie erheblich erweitert und zu größerer Wissenssicherheit geführt. Ausgehend von der differenzialpsychologisch fundierten Personalpsychologie hat diese Vorgehensweise inzwischen alle Bereiche der psychologischen Forschung erreicht und gilt als methodischer Goldstandard. Weitere Fortschritte sind derzeit durch das zunehmende Bemühen um mathematische und statistische Modellierung absehbar (Rodgers, 2010).

Viele weitere Beispiele für neue Entwicklungen werden in diesem Lehrbuch vorgestellt, sie zeigen, dass die Personalpsychologie ein lebendiges, vorwärtsgerichtetes Forschungs und Arbeitsgebiet darstellt. Aber Personalpsychologie besteht nicht nur aus neuen Entwicklungen. Der größte Teil des Bestands ist allmählich gewachsen und betrifft alle Teilbereiche, die in diesem Band angesprochen werden. Verbesserungen einzelner Instrumente oder Prozesse haben dabei vielfach auf dem Hintergrund allgemeiner theoretischer und methodischer Fortschritte stattgefunden. Beispielsweise hat die mittlerweile schon historische Erkenntnis, dass statistische Datenverwertung der klinischen Urteilsbildung überlegen ist (Meehl, 1954), Einfluss auch auf alle Teilbereiche der Personalpsychologie, insbesondere natürlich die Eignungsdiagnostik, wo sie sich von den frühen Assessment Center-Studien bei AT&T (Bray & Grant, 1966) bis zu den Erfolgen der strukturierten Interviews (Schuler, 2002) durchzieht. Hier und in allen übrigen Bereichen hat sich gezeigt, dass strukturierte, kontrollierte, standardisierte Beobachtung und Datenverwertung ceteris paribus der intuitiven, flexiblen, idiografischen Vorgehensweise überlegen ist. Dies ist natürlich nur feststellbar, wenn auch an standardisierten Kriterien geprüft wird und nicht die erste unkontrollierte Intuition an der zweiten, gleichartigen „validiert“ wird; das verweist uns wieder auf die Bedeutung der zuvor erörterten psychometrischen Prinzipien. Die Personalpsychologie sollte deshalb der Vorgabe gerecht werden, sowohl eine anspruchsvolle wie eine „nützliche“ – also praktisch wirksam verwertbare – Wissenschaft zu sein (vgl. Kanning, v. Rosenstiel & Schuler, 2010). Fallbeispiele und Tipps für die Praxis sollen in allen weiteren Kapiteln die Übertragung in die Praxis erleichtern. Aber die statistische Urteilsbildung kann ihre Überlegenheit gegenüber der klinischen natürlich nur dort erweisen, wo sie alle relevanten Parameter aufnimmt. Es hieße Äpfel mit Birnen vergleichen, würde man etwa die statistische Verrechnung von Assessment Center-Beobachtungen, die auf irrelevanten Beurteilungsdimensionen beruhen und von unerfahrenen Beobachtern vorgenommen wurden, mit den intuitiven Einschätzungen erfahrener Beurteiler vergleichen, denen zusätzlich die Erfolgsbedingungen des gegebenen Unternehmens bestens vertraut sind. Solange wesentliche Parameter, die in die komplexe Intuition eingehen, nicht aktuariell abzubilden sind, wird man natürlich am besten mit einer Kombination strukturierter und intuitiver Vorgehensweisen fahren; diese Überlegung erweist sich sogar dort als richtig, wo sich die Überlegenheit des Strukturprinzips am deutlichsten hat nachweisen lassen, beim Einstellungsinterview (Salgado & Moscoso, 2002). Für jeden, der auf diesem Gebiet arbeitet, bedeutet dies, dass er vernünftigerweise alle neue Erkenntnis mit möglichst viel praktischer Erfahrung verbindet, dass er, wo immer möglich, systematische, kontrollierte Verfahren von hohem methodischen Standard benutzt und sich die Kompetenz anderer zunutze macht, um in der Kombination dieser Urteilsquellen zu fundierten Entscheidungen zu finden (Dunnette, 1998).

1.3 Der Nutzen des Lehrbuchs

Herausgeber und Autoren dieses Lehrbuchs hoffen, mit der Auswahl der Themen diejenigen Gebiete und Fragestellungen getroffen zu haben, die auch in der Praxis der Personalpsychologie von Bedeutung sind. Nicht zuletzt die Nachfrage aus…

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